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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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wurde erwartet; getrunken wurden sie jedoch nur von den Ärzten oder der Mafia. Deshalb blieb es bei der Etikettenbeschau; was Milan für uns aus einem Faß abzapfte, war schäumender Sturm.
    Als es uns spät genug schien, um uns endlich zurückzuziehen, erschien jedoch der Verleger, das alte Mütterchen am Arm, und bat uns zu Tisch. Die berühmte Purgerica, Pute mit Speck, Zitronen und Kastanien, könne sie uns leider nicht anbieten; aber sie habe Sarma für uns zubereitet. Wir aßen diese Krautwickel von alten Tellern, der Goldrand vom vielen Waschen abgeblättert, in der schummerigen Stube dieses Vierkanthofes, goldgerahmte große Fotos ihrer beiden Söhne unter dem Kruzifix, Eisenpfannen über dem verrußten Herd. Es war so stickig und eng wie bei meinen Eltern zuhause; das Mütterchen am Kopfende, Milan mit dem Kind mir gegenüber, saß ich Ellenbogen an Ellenbogen mit Menschen zu Tisch, die mir lästig waren.
    Ich fragte das Mädchen nach seinem Namen. Es drückte sich scheu an Milan, der ihm den Arm um die Schulter legte, und aß manierlich die Portionen, die er ihm zurechtschnitt; erst da ging mir auf, dass es seine Tochter sein musste. Der Gedanke berührte mich auf ganz eigenartige Weise. Sie starrte uns beim Kauen verstohlen an, der Blick auf Kim gerichtet, die ihr schließlich entlockte, wie sie hieß: Nada. Was der Verleger, eine schnurrende Katze fütternd, sogleich mit seiner salbungsvollen Übersetzung unterlegte: Ja, du trägst die Hoffnung deiner Generation…
    Ich habe nie etwas dafür übriggehabt, wenn Eltern den Namen zum politischen Programm erheben, wie bei Bekannten von uns, die ihren Jungen Aaron getauft hatten. Deshalb trägst du eine andere Art Namen: es ist das einzige Mal, dass deine Mutter in eine meiner Vorstellungen eingewilligt hat.
    Sich zunehmend wohler fühlend in unserer Gesellschaft, begann Nada übermütig zu werden und plapperte drauflos. Je nach Tonfall nickte ich oder schüttelte den Kopf, bis sie mir ein Glas Saft reichte, dabei aber mit dem Ellenbogen ihren Teller über die Kante schob, dass er am Boden zersprang. Das Mütterchen begann sofort zu schimpfen, Milan jedoch fuhr Nada bloß übers Haar, schob die Katze, die bereits daran leckte, unsanft beiseite und las schweigend die Scherben auf; dann hob er Nada auf seinen Schoß und ließ sie von seinem Teller weiteressen.
    Es waren belanglose Gesten, aber die Zuneigung, die er seiner Tochter erwies, machte umso mehr Eindruck auf mich, als ich ihm so etwas nicht zugetraut hatte. Und wie es nicht anders sein konnte, folgte bald darauf die Frage, ob wir Kinder hätten. Kim zuckte bei diesem Thema stets zusammen. Da der Verleger mich noch in der Pariser Wohnung aufgesucht hatte, die ich mit dir und deiner Mutter geteilt hatte, blieb mir bloß eine Antwort, die alles ins Rollen brachte.
    Ich setzte zu einer Erklärung an, in der ich mich zusehends verhedderte; zu vieles hatte sich in mir aufgestaut, ich hatte getrunken und die uneingestandene Spannung dieses Tages tat das ihre. Ich zückte zwar nicht meine Geldtasche, um ein zerknittertes Foto von dir herumgehen zu lassen; doch die Frage nach deinem Namen war wie ein Schibboleth, mit dem ich dachte, Freund von Feind unterscheiden zu können. Und so, ungeachtet dessen, dass Kim mir ihre Knöchel in die Seite presste, schüttete ich mein übervolles Herz aus.
    Eines gab das andere, der Verleger übersetzte, und die Pausen, die sich jedesmal breitmachten, füllte ich durch immer noch mehr Details aus, wirr zuerst, bis sich dann alles an seinem tragischen Faden aneinanderreihte. Der Verleger ließ sich zwar anmerken, dass ihn diese Geschichte ermüdete, doch Milans ungeteilte Aufmerksamkeit war mir sicher. Kopfschüttelnd schien er mein ganzes Martyrium nachvollziehen zu können und mir bereits durch seinen Gesichtsausdruck zu vermitteln, dass all dies für ihn nicht rechtens war. Du musst etwas dagegen tun, meinte er mit immer größerem Nachdruck; ein Kind ist die Seele eines Vaters. Wenn es meine Tochter wäre…
    Ich blickte ihn an, sah seine vierschrötige Visage, die schiefe, gebrochene Nase, die ungeschlachten Hände, mit der er sein Kind hielt, und seine Worte richteten mich innerlich auf; sie erlösten mich aus diesem dräuenden Zustand, dem ich jeden Morgen aufs Neue vergeblich beizukommen versucht hatte, und verhießen eine Klarheit, als wäre es allein, indem es ausgesprochen wird, schon gebannt. Ich betrachtete Milan, als würde er mich nun aus diesem Limbus patrorum

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