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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Schrott
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Milan nur kurz unterbrochen: Was halten Sie von einer Fahrt nach Karlovac? Wir könnten uns dort die Bilder Raskajs ansehen? Mir hat dieser Name anfangs nichts gesagt, doch nach ein paar Monaten hier weiß man, wen man in der Geschichte des Landes zu kennen hat. Aber keine Angst – über sie habe ich noch kein Buch herausgebracht; Raskaja ist ein Staatsheiligtum, für sie kommen bloß Hochglanzbände in Frage. Vielleicht morgen?
    Damit zog er vier dünne Bündel aus dem Koffer, legte sie neben mein Glas und erwartete wohl, dass ich sie mir sofort in den Anzug stopfte, gewissermaßen als Taschengeld für den Ausflug. Und erst da wurde mir bewusst, in welchem Umfang man mich ausgenutzt hatte: ich war bezahlt worden, um mit meinem Namen eine Unterschlagung zu unterzeichnen.
    Anders als mir, dem alles vom Gesicht abzulesen ist, blieb Kims Ausdruck unergründlich. Was sie in einem bestimmten Augenblick dachte, war ihr kaum jemals anzumerken; wenn überhaupt, verriet sie es später, in wenigen Sätzen, die dann umso schneidender waren. Nun aber ließ ihr Schweigen in mir das Gefühl aufsteigen, allein gelassen zu sein, da sie um meine Ungeschicklichkeit in solchen Situationen, meine fehlende Souveränität im Umgang mit Menschen wusste: ich suchte Nähe, wo Abstand vonnöten, Sympathie, wo keine Basis dafür gegeben war, selbst bei geschäftlichen Dingen.
    Geschickt wie der Verleger jedoch war, ließ er gar nicht erst einen Moment des Zweifels aufkommen, sondern öffnete mit spitzen Fingern meine Mappe, um das größte, zusammengefaltete Blatt daraus hervorzuziehen: die Karlstädter Kartierung. Und statt ihn zur Rede zu stellen, hörte ich ihm zu, wie er sich über meine gekaufte Nacht hermachte.
    Aus dem Ultramarin des Untergrunds stach der Große Bär heraus, der den Landesnamen erhalten hatte; der Bärenhüter trug die Aufschrift ›Vereintes Europa‹; und der Kleine Bär hieß nun ›der Soldat‹, seine einzelnen Sterne nach lauter Verlierern benannt: ›Xerxes‹, ›Hannibal‹, ›Napoleon‹… daneben ein ›Amselfeld‹, bei dem jedoch offenblieb, welche der vielen Schlachten dort unsterblich gemacht werden sollten.
    Angesichts dessen, dass dies ein Himmel allein von Dušans Gnaden war, wurde mir nun auch klar, weshalb der Skorpion in ›Musiker‹ umgetauft worden war, seine beiden Scheren ›Wagner‹ und ›Verdi‹. Auf der einen Hälfte dieses Firmaments fanden sich so die Männer der Tat, auf der anderen die Männer des Geistes, in einem geometrischen Schematismus, dessen Kalkül keine Legenden mehr zu verbergen vermochten. Frauenfiguren dagegen reihten sich bloß einige wenige auf, gelbe Einsprengsel entlang des alten Flussbildes Eridanus’; umso liebevoller hatte ich deshalb die dazugehörige ›Kinderecke‹ im Phönix ausgeführt, golden zermahlenes Pyrit auf dem monochromen Blau des Firmaments.
    Hätte der Verleger sich die Karte näher besehen, statt sie nur als Stichwortsammlung für seine Ausführungen zu benützen, würde er gemerkt haben, dass ich sie einer gewissen Lächerlichkeit preisgab – denn im Falz, dort, wo sonst die Waage steht, hatte ich mir die Freiheit genommen, den ›Narren‹ einzuzeichnen, als der ich mich nun erwies, bloßgestellt und bestechlich, meine Arbeit verspottet, meine Anwesenheit hier nur ein Alibi für andere, mein Honorar ein Entgelt der Komplizenschaft.
    Anstatt nach dieser Geldwäsche noch einen ehrenvollen Rückzug anzutreten, nach einem solchen Affront brüsk aufzubrechen, meine Mappe unter dem Arm, musste ich in dem Moment bereits daran gedacht haben, wie ich aus dieser Situation Kapital schlagen konnte – indem ich bereit war, noch jene dreißig Silberlinge draufzuschlagen, für die man sich Menschen einmal kaufen konnte.
    Der Nachmittag zog sich schier endlos in den Abend und das Warten auf den Auftraggeber erwies sich bald als Vorwand, um mit pharisäerhafter Herzlichkeit etwaigen Zweifeln oder gar Vorhaltungen keine Nahrung zu geben. Ein Echo auf meine Arbeiten war deshalb genauso wenig zu erwarten, wie man Anstalten machte, das in Aussicht gestellte feierliche Essen auszurichten: mit wem auch? Das Telefon läutete, es war offensichtlich erneut Dušan; mehr als ein Gruß aber wurde mir nicht mehr übermittelt.
    Solcherart in die Gastgeberrolle gedrängt, führte Milan mich in den Gewölbekeller, um mir seine Weine zu zeigen, Gegenstände nationalen Stolzes, für die man hier europäische Preise zahlte. Ob Amt oder Krankenhaus: eine Flasche mitzubringen

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