Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
erinnerte Kitty an eine Oper von Philip Glas und Robert Wilson, die sie in Brooklyn während ihres Studienaufenthaltes in Fordham gesehen hatte.
»Ohne Spaten wird das nichts«, brüllte Kieran und war bei den unermüdlichen atonalen Entäußerungen desSchweins kaum zu verstehen. »Ich muss das Loch größer machen, damit sie die Haxen herausbekommt.«
»Heißt das, ich soll einen holen?« Ungewollt, aber doch mit einiger Genugtuung, passte Kitty ihre Stimme der Tonhöhe des Schweins – dem zweigestrichenen b – an.
»Ich geh schon. Bleib du hier und versuche, hier Ruhe reinzubringen.«
»Und wie, bitte schön?«
»Ein stumpfer Gegenstand, gezielt zwischen die Ohren des Schweins platziert, könnte Abhilfe schaffen.«
Kieran nahm es erneut mit der Steinmauer auf und hatte seine Schwierigkeiten. Eigentlich war er durchtrainiert, aber die Mauer war ziemlich hoch, und die Steine waren so sauber gesetzt, dass man mit der Fußspitze kaum irgendwo einen Halt fand. Zweimal glitt er ab. Als er das zweite Mal abrutschte, hörte er Kitty rufen: »Vielleicht sollte ich lieber gehen.«
Er warf ihr nur einen scharfen Blick zu, hangelte sich dann erfolgreich nach oben und sprang hinunter auf die andere Seite. Kitty machte dem Schwein Vorhaltungen, sie konnte einfach nicht anders. Als das zu keinem Diminuendo führte, wiederholte sie die Ermahnungen, diesmal auf Englisch statt auf Irisch. Doch das brachte erst recht nichts, spornte das Schwein eher an. Es steigerte sich zu stratosphärischen Höhen, um die es jeder Koloratursopran beneidet hätte, und das mit zunehmender Lautstärke. Ganz offensichtlich verfügte das Tier über die Muskelkraft, die Stimmbänder und den nötigen Resonanzraum im Kopf, um ein derartiges Klangphänomen zu erschaffen. Kitty schaltete rasch wieder auf das Irische um, aber das Schwein ließ sich nicht beruhigen und lamentierte, ohne auch nur im Geringsten nachlassendes Durchhaltevermögen oder schwächelnde Stimmgewalt zu zeigen.
Wie um sich der Darbietungen des Schweins besserdankbar erweisen zu können, gab die Kuh ihre nutzlosen Versuche, sich zu befreien, auf, schaute nach vorn und schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit dem schweinischen Schauspiel, das sie selbst provoziert hatte. Sie schien nicht länger nach Befreiung zu verlangen, war eher darauf aus, zuzuhören. Sie wedelte mit dem Schwanz und zuckte mit den Ohren und zollte dem Schwein so Beifall.
Dann verstummte der Lärm. Kitty dachte schon, jemand hätte mit dem Beil zugeschlagen, und sie würde, wenn sie den Blick von der Kuh wendete, das arme Schwein in seinem Blut liegen sehen. Aber als sie sich umdrehte, hatte das Schwein den Kopf gesenkt und schnüffelte ganz ruhig im Gras. Unmittelbar in der Nähe, an einer Hecke, stand Taddy, den Blick auf das Schwein gerichtet. Er schaute zu, wie es schnupperte und schnüffelte, im Rasen wühlte und Grassoden hochwarf. Erst jetzt bemerkte Kitty, dass sich das Schwein – wie auch immer – des Ringes entledigt hatte. Es hatte das Loch gebuddelt, das der Kuh zum Verhängnis wurde, und konnte nun wieder nach Herzenslust das Erdreich aufwühlen.
Als Taddy aufblickte, sah er nicht zu Kitty, sondern zu Brid, die plötzlich vor der Kuh stand. Der Nacken des jungen Mannes wirkte nicht nur aufgeschürft, sondern auf sonderbare Weise zernagt. Verwirrt und voller Trauer starrte Taddy auf Brid. Sein Blick veränderte sich, war der eines jungen Burschen, der voller Hingabe das Objekt seiner Liebe betrachtete, sein ganzes Sein erfüllt von einem stillen Kummer, einem Schmerz, der das Verlangen überschattete. Er stand, als wartete er darauf, dass Brid ihn besäße oder er sie besäße, dass er sie förmlich in sich aufnehmen, sie sanft im Herzen, in der Seele bewahren könnte. In eins verschmelzen, Taddy und Brid. Brid und Taddy.
Dass Kitty nichts tun konnte, um seinen Kummer zu lindern, bedrückte sie. Brid war mehr mit der Kuh als mitTaddy beschäftigt und betrachtete angelegentlich das Tier, das schicksalergeben in dem Loch feststeckte, das es dem Schwein zu verdanken hatte. Die eigene Hilflosigkeit brachte das Mädchen zur Verzweiflung, sie rang die Hände, führte sie an die Brust, streckte sie von sich, um sie erneut zu ringen und nur noch heftiger gegen das Brustbein zu pressen. Ihr Blick wanderte von den gefangenen Hinterbeinen zu dem prallen Euter, das auf der Erde ruhte, und weiter zum Kopf der Kuh und den sanften, treuherzigen Augen. Dann sah sie Taddy. Ihre Erregung legte sich. Langsam ließ
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