Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
machen, schob Kitty ab, tatenlos herumstehen und dem Mann bei der Arbeit zusehen, schmeckte ihr sowieso nicht. Sie hielt sich dicht an dem Steinwall, der manchmal höher als sie selbst war. Eile hatte sie nicht, sie schritt die Mauer ab in der stillen Hoffnung, keine Lücke zu finden – einfach nur, um Kieran zu beweisen, dass er nicht recht hatte.Wiederum würden sie dann die Steine selbst lösen, die Kuh und das Schwein hinübertreiben und den Durchgang wieder schließen müssen.
Sie wurde den Gedanken nicht los, dass das Schwein die Bresche geschlagen hatte. Mit seinem hammerharten Schädel, dem Stiernacken und den mächtigen Schultern hatte es mit Leichtigkeit beliebig viele Steine hinuntergestoßen, egal wie groß oder schwer. Man durfte seine Kräfte nicht unterschätzen. Schon gar nicht seine sture Hartnäckigkeit. Wenn es eine Bresche in die Mauer schlagen wollte, würde ihm das gelingen.
Sie fand, es wäre wohl doch besser, auf die Stelle zu stoßen, wo die Felsbrocken von allein, ohne äußere Gewalteinwirkung, zusammengefallen waren.
Und die Grübelei über das Schießpulver führte auch zu nichts. Vielleicht sollte sie den Jungen, den künftigen Seher, auf die Burg holen, konnte ja sein, dass er das Versteck des Sprengstoffs aufspürte. Sie würde ihn von Raum zu Raum führen, vom Kerker bis zur Turmspitze. Sie würde mit ihm über die Wiesen und den Morast gehen, durch Obstgarten und Weideland, den Steinwall entlang, wie sie es jetzt tat, und er würde seine übernatürlichen Kräfte nutzen, um das Schießpulver zu finden. Sie würde sich alle Mühe geben, sich nichts von ihrer Verzweiflung anmerken zu lassen, geschweige denn von ihren Kümmernissen, dass – sollte das Schießpulver gefunden und die Burg in die Luft gejagt werden – kein Taddy sie je wieder besuchen würde, sie nie mehr die traurigen Augen, die schmuddligen Füße, den geschundenen Hals, die Harfe spielenden Finger, die geöffneten Lippen des schmachtenden Liebhabers sehen würde.
Und doch musste es sein. Sie war die Einzige auf Erden – anscheinend auch im Himmel –, die die Tat vollbringen konnte. Wenn die Rachegeister sich überreden ließen, ihrUrteil zu revidieren, und sich damit zufriedengeben könnten, die Burg Stein für Stein abzutragen, würde sie darum bitten, die Aufgabe übernehmen zu dürfen. Mit bloßen Händen würde sie es tun. Das Schwein hatte es ihr vorgemacht – mit dem Kopf würde sie zustoßen, mit den Füßen treten, keine Mühe scheuen. Kratzen, scharren, stoßen, hämmern, brechen, nichts würde sie unversucht lassen. Aber ihres Wissens war das Urteil – wenn man es überhaupt so nennen durfte – weder revidiert noch aufgehoben worden; wenn sie also handeln wollte, dann würde sie tun müssen, was man damals vorgehabt hatte, und das hieß, die Burg in die Luft jagen.
Gelb blühender Ginster klammerte sich an die Mauer, sein süßer Duft war zuweilen stärker als der salzige Geruch der Steine. Der Himmel hoch droben war nicht blau, er war mehr wie ein weißer Schleier, also würde es in den nächsten Minuten nicht regnen. Ein Wiesenpieper pickte am Ginster und suchte nach Futter, und oben schwebte eine Möwe, wollte nach einem Ausflug zu den östlich gelegenen Flüssen und Seen zurück zum Meer. Das vor vielen Jahren erbaute Mauerwerk reichte ebenso tief in die Erde wie in die Höhe.
Bei ihrer Wanderung um die Einfriedung begleiteten sie inzwischen mehrere Wiesenpieper, die mit den Schnäbeln in den Steinfugen nach Fressbarem herumstocherten. Über ihr löste sich die weiße Wolke auf, die den Himmel bedeckt hatte, und gab den Blick auf die Sonne frei, die sich, ihrer Umlaufbahn folgend, nach Westen zu neigte. Schöner konnte die Welt nicht sein, wenn man eine Mauer nach herausgebrochenen Steinen absuchte.
Als sie den äußersten Rand des Feldes erreichte, sah sie die Lücke: wahllos durcheinanderliegende Steine auf der Erde, im Gras, zwischen Heidekraut und Ginster. Und mittendrin der Ring, den man dem Schwein durch den Rüsselgezogen hatte, das Metall durchgeschabt, weil es den vehementen Stößen gegen die harten Felsbrocken nicht hatte standhalten können. Das Schwein also war es gewesen.
Es war eine ernüchternde Erkenntnis, Kitty wollte sich schon empören. Sie drehte sich um und sah das Schwein, gleich dahinter die Kuh, dank des größer gegrabenen Erdlochs aus ihrer misslichen Lage erlöst, beide auf dem ummauerten Ackerland. Kieran stand an die Trockenmauer gelehnt, den Spaten hatte er
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