Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
lassen. Keiner von uns wird das.«
»Soll ich etwa Seiner Lordschaft die Burg kampflos überlassen?«
»Der Kampf hat stattgefunden und ist aus und vorbei. Er wurde vor Gericht ausgefochten, und du hast verloren.«
»Ich habe nur eine Schlacht verloren, aber nicht …«
»Die Burg wird nicht gesprengt, lediglich das Schießpulver wird entfernt und unschädlich gemacht.«
»Und Taddy und Brid sollen da hängen, und wir sehen tatenlos zu?«
»Es sind nicht Taddy und Brid, die da hängen. Ihre Geister sind es, die hängen.«
»Ihre Geister sind Teil von ihnen. Und somit hängen sie doch.«
»Geister haben keinen Körper. Ohne Körper fühlst du nichts.«
»Sie fühlen aber.«
»Tun sie nicht.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das sagt mir mein gesunder Menschenverstand.«
»Wir sprechen über Geister – und du redest von gesundem Menschenverstand. Gott stehe mir bei!«, ereiferte sich Kitty.
»Und wieso bist du dir so gewiss, dass sie nichts sehnlicher wünschen, als das ganze Ding hier hochzujagen? Woher weißt du, was sie wirklich wollen?«
»Peter McCloskey hat’s mir gesagt.«
»Ein Junge von wie viel – neun?«
»Sieben. Aber er kennt sich aus. Und er hat’s mir gesagt.«
»Und du glaubst, was dir ein Siebenjähriger erzählt?«
»Peter ist anders. Das weißt auch du.«
»Jeder ist anders.«
»Nie und nimmer wird Lord Shaftoe in dieser Burg residieren.«
»Dann lass doch Lord Shaftoe hochgehen. Warum nicht ihn?«
»Ja, genau das werde ich machen. Er und die Burg. Beide zur gleichen Zeit.«
»Ich gebe es auf.«
»Umso besser.«
»Die Burg wird nicht … Ach, lassen wir das. Du hackst die Zwiebel zu fein.«
»Du hast mich abgelenkt.«
Kieran fuhr mit der Klinge des Messers über den Fleischerblock und schob Zwiebel und Paprika in die Schüssel. Kitty wischte sich mit dem Knöchel des Zeigefingers die Tränen aus den Augen. Kieran tat die anderen Zutaten, die das Bronx-Rezept verlangte, in die Schüssel: Schabefleisch, Eier, einen Spritzer Milch, Dijon-Senf. Kitty begann, Petersilie kleinzuhacken. Die Tränen kamen wieder. Erneut wischte sie sie mit dem Fingerknöchel weg, tates achtsam, um nicht mit dem Messer, das sie in der Hand hielt, das Auge aufzuschlitzen. Und wieder flossen die Tränen. Auch die Nase begann zu laufen. Sie schniefte. Schniefte noch einmal.
»Die Burg zu sprengen, bringe ich doch nicht fertig«, erklärte sie.
Kieran hörte auf, Pfefferkörner zu mahlen, sagte aber nichts.
»Wie könnte ich auch? Schau dich um. Die Steine. Die Mauern. Der Turm. Die Galerie. Die Wendeltreppe. Die Zinnen, über die du hinausschaust aufs Meer …«
Kieran reichte ihr ein Papier-Küchentuch. Sie putzte sich die Nase und gab ihm das Stück Küchenrolle zurück. Er ließ es auf den Boden fallen. »Wenn ich an die denke, die hier gebaut haben«, sagte Kitty, »wie kann ich …«
Er reichte ihr noch ein Blatt von der Küchenrolle. Sie wischte sich die Augen und putzte sich die Nase.
Wieder landete ein Papiertuch auf der Erde. »Stein auf Stein. Block um Block aufeinandergeschichtet. Jemand hat sie auf dem Rücken herangeschleppt, mit der Hand abgestützt, im Fundament vermauert und in … Sieh mal hoch zur Decke. Diese Balken. Nur ein Riese kann sie hochgewuchtet haben. All die schwere Arbeit. Der Schweiß. Die Müdigkeit, die Erschöpfung. Der Schmerz, die Leiden, die Knochenbrüche. Die Verstümmelungen. Und immer wieder die Steine, einer auf den andern.« Sie streckte die Hand aus, befühlte die Wand neben dem Herd. »Ein Mann hat die alle gesetzt. Wer war er? Wie hieß er? In der Kälte der Nacht. In des Tages Hitze. Regen. Nebel. Nässe. Die Erde hart. Stein auf Stein … Stein auf …«
Kitty riss sich ein Stück von der Küchenrolle auf ihrer Seite des Tisches ab. Schnaubte sich die Nase, hob das Papier an die Augen, zögerte, wischte dann die Tränen mit dem geknüllten Papier ab. Ließ es zu Boden fallen. Sieschniefte. »Die Burg hat schon gestanden, lange bevor ein Shaftoe hier auftauchte. Und sie wird noch stehen, wenn all die Shaftoes aus der ganzen Welt gekommen und gegangen sind. Hab keine Angst. Dem Bau hier geschieht nichts. Und Taddy und Brid, sie müssen halt bleiben, wenn ihnen das so beschieden ist. Wir können nur beten. Mehr können wir nicht tun.«
Sie legte das Messer weg, presste beide Fäuste in die Augen und rieb die verbliebenen Tränen tief in die Haut, am liebsten bis ins Hirn, wenn sie gekonnt hätte. Als sie damit fertig war, wandte sie sich ab;
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