Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
Kieran entspannte jeden Gesichtsmuskel, glaubte, so besser den Kopf zu senken und Lolly direkt ansehen zu können. »Und um dem Ganzen noch etwasdraufzusetzen, in der Burg gibt es Geister – ich vermute, ihr könnt euch denken, woher ich die Idee habe. Schließlich ist immer die Rede davon gewesen, dass in der Burg diese Geister umgehen.« Sie lächelte nervös, zuckte mit den Wangen. »Schreib über Sachen, die du kennst. So soll man doch vorgehen, nicht? Jedenfalls, die einzige Lösung – den Teil liebe ich geradezu –, um die Geister loszuwerden und den Fluch von der Burg zu nehmen ist, sie in die Luft zu sprengen. Wie findet ihr diesen Überraschungscoup?«
Jetzt entspannte auch Kitty ihre Züge und bedachte ihre Freundin mit einem betont gleichgültigen Blick. »Wie kannst du einen Fluch von einer Burg nehmen, die gar nicht mehr existiert?«
»Aber noch existiert sie. Bis sie gesprengt wird. Und wenn das passiert, na, dann ist auch der Fluch weg. Die Geister sind verschwunden, terrorisieren nicht länger die Nachbarschaft. Und die Burg zu sprengen, wär’ doch ein guter Schluss, meinst du nicht?«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Kitty zögernd. »Scheint mir ein bisschen weit hergeholt.«
»Du meinst, das mit dem Sprengen der Burg?«
»Ich meine die ganze Geschichte.«
»Hm, dazu ist es jetzt zu spät. Ich bin schon auf Seite fünfhundertzweiundachtzig.«
»Wenn es so ist, brauchst du doch gar keinen Rat mehr von irgendwem.«
»Aber wie bringe ich es fertig, eine Burg zu sprengen?«
»Das liegt nun wirklich jenseits meiner Erfahrung«, sagte Kitty.
»Ach, ich habe ja vergessen, dir zu sagen. Doch du weißt selbst, was man so tuschelt: Das Schießpulver ist seit langem irgendwo in der Burg versteckt.«
Kieran meldete sich und sagte ein bisschen schleppend: »Na das wär’s doch, wie du die Burg in die Luft jagst. Mitdem Schießpulver. Ganz einfach. Und Schluss der Vorstellung.«
»Bloß keiner weiß so recht, ob das Schießpulver wirklich da ist. Gefunden hat man’s nie.«
»Dann lass es doch von jemandem finden«, sagte Aaron, dessen Ungeduld zusehends wuchs. Seit er sich von der Kunst des Romanschreibens verabschiedet hatte, war sein Interesse an derlei Dingen merklich geschwunden. »Es ist doch eine Geistergeschichte. Die Geister finden es eben.«
»Daran habe ich auch schon gedacht, aber …«
»Denk einfach weiter drüber nach«, warf Kitty ein. »Bestimmt fällt dir was ein, das uns alle verblüfft.«
»Meinst du wirklich?«
Nie hatte Kitty ihre lebenslange Freundin so unentschlossen gesehen. Ein Mangel an Entschiedenheit war nun wirklich nicht Lollys hervorstechender Charakterzug, ebenso wenig, wie Kitty nie unter einem derartigen Mangel gelitten hatte.
Für sie war das Schreiben einfach eine Erweiterung des ihr angeborenen Selbstvertrauens. Ihre Begabung, ihre Fähigkeiten nahm sie als selbstverständlich hin, dafür brauchte sie keine Bestätigung. Wer das nicht sehen und würdigen konnte, war eben blind.
Es tröstete Kitty, dass Lollys Mangel an Selbstvertrauen der Beweis war, auf den sie gewartet, den sie erwartet – nein sogar
gefordert
hatte –, dass die arme Lolly, so sehr sie sie auch liebte, ungeachtet aller guten Wünsche und wohlwollenden Gedanken, die sie für die Freundin hegte, nicht das Zeug zu einer wahren Künstlerin hatte. Für Kitty gab es im Lexikon der Kunst das Wort
Furcht
nicht. Auf zu viele Risiken musste man sich einlassen, zu viele Zweifel mussten bezwungen werden. Und daraus gewann Kitty eine weitere Gewissheit.
Doch jetzt galt es Wege zu finden, ihrer Freundin über dieEnttäuschung hinwegzuhelfen, ohne die Schadenfreude durchschimmern zu lassen, die sie angesichts der wohlverdienten Schwierigkeiten empfand, in denen ihre Schwiegernichte steckte. Es musste ihr gelingen, das Auf-der-Hand-Liegende zu sagen, ohne es auszusprechen: Aaron musste zurück an den Computer. Lolly musste sich mit dem Schicksal abfinden, das ihr von Anfang an vorherbestimmt war: eine einfache Schweinehirtin zu sein. Es war der Beschluss unbekannter Mächte, die niemand Rechenschaft schuldig waren. Kitty musste ihrer Freundin helfen, das einzusehen. Sie – Kitty – würde sich etwas ausdenken. War sie eine Künstlerin, oder war sie keine? Eine Schöpferin von aufsehenerregender Gestaltungskraft. Wie glücklich konnte sich Lolly schätzen, eine so treue Freundin zu haben.
Kittys Anspannung ließ nach. Sie war gewillt zu sagen, was Lolly ihrer Meinung nach hören
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