Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
beinahe gerührt von der so untypischen Höflichkeit des Mannes, mit dem sie einst verheiratet war. Kopfschüttelnd schlug sie die Hände zusammen. »War das eine gewaltige Überraschung. Für uns alle.« Sie tippte Lolly auf die Schulter. »Und erst für Sie, was? Es war mir ein echtes Vergnügen, Sie kennenzulernen. Wirklich.« Sie griff Declans Hand, der erschreckt Luft holte. »Auch Ihnen hier zu begegnen, wie immer Sie heißen mögen.« Kräftig schüttelte sie ihm die Hand und ließ sie dann los. Schon im Fortgehen blieb sie stehen. »Und denkt dran. Mein Mann, der, den ich jetzt habe, hat seine große Nummer gleich im nächsten Teil.
Sie schallt, die Posaun
. Hört ihm gut zu. Darauf legt er Wert.« Schwungvoll raffte sie den Rock des Chorgewands und eilte den Hauptweg entlang. Mit einem »Verzeihung« hier und »Verzeihung« da drängte sie jeden beiseite, bis sie freie Bahn hatte und über den Rasen zum Seiteneingang lief, der Herrlichkeit der großen Chöre entgegen, die nun folgten. Aaron und Lolly schauten ihr nach, wie um sich zu vergewissern, dass sie wirklich fort war.
»Sollen wir jetzt nach Hause fahren?« Diesmal stellte Lolly die Frage.
Aaron seufzte. »Ich denke, wir vertragen Händel noch ein Weilchen. Ich könnte jetzt nicht einfach gehen.«
Sie drehten sich nach Declan um, wollten sehen, wie er sich entschieden hatte. Doch er war verschwunden. Sie hielten Ausschau, suchten ihn zwischen den Grabmalen, spähten nach ihm in der Menge, die sich in die Kirche begab. Er war nirgendwo.
Aaron nahm Lollys Arm. »Komm. Händel wird helfen.«
»Weshalb meinst du, ich brauche Hilfe?«
Er verzichtete, darauf zu antworten. Lolly ließ sich hineinführen. Lucille stand bereits auf ihrem Platz, schlüpferlos, die Fünfte von links, zweite Reihe.
Während der letzten Teile des Oratoriums saßen Aaron und Lolly wie versteinert auf ihren Plätzen. Als sie zum
Halleluja
aufstanden, wie es sich gehörte, hielten sie sich aufrecht wie Statuen und ließen die Musik um ihre nur allzu körperlichen Egos rauschen. Nach
Ich weiß, dass mein Erlöser lebet
hatte Lucilles gegenwärtiger Gatte, Stanislaus Glyzinski, sein großes Solo.
Sie schallt, die Posaun.
Nur allzu bedeutungsvoll klangen ihnen die folgenden Worte:
Und die Toten erstehn unverweslich.
Während der erste Teil der Arie wiederholt wurde, entstand ein paar Kirchenbänke vor ihnen rechts eine Unruhe. Ein Mann stolperte auf den Mittelgang. Er fiel mehr auf ein Knie, als dass er es beugte. Seine Hosen waren zerknittert, der Mantel abgetragen, die Stiefel lehmverdreckt, sie hallten auf dem Marmorfußboden. Er hielt den Kopf geneigt, die rechte Hand vor den Mund gepresst, als mühte er sich, einen Schrei zu unterdrücken, der hier nicht statthaft war.
Als er an Aaron und Lolly vorbeiging, sahen sie, dass ihm Tränen aus den zusammengekniffenen Augen rannen und über den Handrücken liefen.
Und die Toten erstehn unverweslich …
Wieder erschallte die Posaune, der Weckruf der Trompete hallte durch den Riesenraum, schwang sich auf zu den Gewölbebögen hoch über dem Kirchenschiff. Der Mann schlurfte weiter. Als er an der Kirchenbank vorbeikam, in der Aaron und Lolly saßen, flüsterte Lolly tief ergriffen: »Declan.«
Der Mann stolperte schweren Schrittes dem Ausgang zu.
Kapitel 7
Es war beschlossene Sache. Kitty würde der jungen Professorin am College in Cork eine E-Mail schicken und ihr mitteilen, dass sie es sich noch einmal überlegt hatte. Es würde ihr eine Ehre sein, gemeinsam mit der Dozentin – einer Ms Eileen Mulligan – im Spätsommer ein eigens angesetztes Seminar zu leiten, das sich zum Ziel gestellt hatte, Kittys »Überarbeitungen« mit den Originaltiteln, über die sie sich hergemacht hatte, zu vergleichen. Es waren Lesungen, Diskussionen und Referate vorgesehen. Ms Mulligan hatte geeignete Studenten ausgewählt, und Kitty hatte die Bewerbungen der Kandidaten überflogen und abgenickt. Es würde Streitgespräche geben, auch musste man mit Anschuldigungen und Anwürfen rechnen, mit Beleidigungen und scharfen Entgegnungen, mit leidenschaftlicher Verteidigung und nicht weniger leidenschaftlichen Schmähungen. Für Kitty war das Vorhaben nicht ohne Reiz – sie hatte eine angeborene Vorliebe für Rede und Gegenrede. Das Seminar würde ihrem Bedürfnis nach Kontroversen entgegenkommen, es vielleicht sogar befriedigen. Sie fieberte dem Ereignis geradezu entgegen.
Ms Mulligan hatte verstanden, dem Angebot eine besondere Würze zu
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