Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
verleihen – es war keine Vergütung vorgesehen. Nicht einen Cent würde Kitty für ihre Arbeit bekommen. Das Seminar erfuhr keine finanzielle Unterstützung. Ms Mulligan hatte aus der Not eine Tugend gemacht und Kitty geschmeichelt, dass ihre Anwesenheit und Teilnahme nicht mit Geld zu bezahlen wären; jeder Betrag, egal wie hoch, wäre eine Beleidigung für sie, und Ms Mulligan, außerordentliche Professorin, die sie war, würde nie und nimmer für eine derartige Farce zu gewinnen sein. Kitty war nicht mit Gold aufzuwiegen – und sie war nicht geneigt, dem zu widersprechen.
In dem Schreiben war auch darauf hingewiesen worden, dass sich Hochschulen und Universitäten in ganz Irland rühmen konnten, Autoren von Rang und Namen für ihre Mitarbeit gewonnen zu haben. Insofern mangele es den Einrichtungen nicht an Autoritäten, nur könnten sie nicht alle zu Gastvorlesungen einladen. Und doch gab es eine Institution, der es gelungen war, eine anerkannte Schriftstellerin dafür zu gewinnen, einem angriffslustigen Publikum die Stirn zu bieten und sich natürlich auch den sie mit fragwürdigem Lob überschüttenden Bewunderern zu präsentieren, die sie ohne Frage begeistern würde. Das war Kitty McCloud, unablässig geschmäht, üppig bezahlt, Ms McCloud, die für sich in Anspruch nahm, dass sie, und sie allein, von der für schriftstellerisches Talent zuständigen Muse auserkoren war, die ursprünglichen und so töricht ausgeführten Eingebungen literarischer Ikonen, die es doch hätten besser wissen müssen, zur Vollendung zu bringen.
O ja, Ms McCloud wusste es besser und zögerte nicht, es die Welt wissen zu lassen. Mit anhaltend guten Nerven (wahrscheinlich sollte man besser sagen: mit anhaltender Frechheit) gab sie sich nicht mit der Arbeit eines Literaturkritikers zufrieden, sondern machte sich großzügig daran, in Büchern, die sie für brauchbar hielt, neue Wahrheiten zu erfinden, Schwächen der Schriftsteller auszugleichen, die einfach nicht den Mumm gehabt hatten, sich eventuellem Spott auszusetzen, und es sich versagten, ihren Romanen ein vernünftigeres Ende zu verpassen. Und jetzt hatte man sie gebeten, ihre Überarbeitungen von geheiligten Texten, in denen sie erbarmungslos und großherzig zugleich herumgefuhrwerkt hatte, einem »Kritischen Vergleich« zu unterziehen, wie es hieß.
Der Köder war ausgeworfen. Die Gelegenheit, die Arbeit der schreibenden Zunft zu verteidigen, durfte man sich nicht entgehen lassen, umso mehr, da sie sich vorgenommen hatte, Hohn nicht mit Spott zu vergelten, sondern irregeleiteten Ansichten voller Mitleid zu begegnen. Sie würde die Geduld in Person sein. Das Seminar bot ihr die Gelegenheit, sich in Barmherzigkeit zuüben, wie es sie die Nonnen gelehrt hatten – »Die Unwissenden belehren«. Es würde dem himmlischen Vater gefallen, und das durfte ihr nur recht sein, denn allzu leicht konnte sich ihr Mitleid als Stolz erweisen oder ihr Zorn aufwallen, wenn festgefahrene Meinungen aufeinanderprallten.
Als ihr das Angebot gemacht wurde, hatte sie Professor Mulligan mitgeteilt, sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen – und sie tat es gründlich. Da war zum Beispiel ihr lieber Mann zu bedenken. Eine Trennung würden sie nicht ertragen. Die Wochen in Cork würden zudem eine Ablenkung von ihrem gegenwärtigen Projekt
The House of Mirth
bedeuten, das Kitty in
The House of Fenimore Blythe
umbenannt hatte – der neue Titel ergab sich durch Ms Whartons Lily Bart, die Hauptperson, die wie der ganze Roman durch Kitty ein völlig neues Gesicht bekommen würde.
Und dann war da noch der Gemüsegarten, der bearbeitet und abgeerntet werden wollte und ihr Sorgen machte. Ungeklärt blieb auch die Frage, wie Brid und Taddy, ja, natürlich auch das Schwein, zurechtkommen würden, wenn niemand Anteil an ihren Sorgen und Verwirrungen nahm. Sogar ihr selbst würde es schwerfallen, sie nicht sehen und nicht an ihren Leiden und Nöten teilhaben zu können. Wie sollte sie all die Tage ohne sie überstehen? Sollte sie doch lieber absagen? Auch wenn es ihr schwerfiel? Sehr schwerfiel.
Doch nun war die Entscheidung getroffen, und das, ehe sie auf die Idee gekommen war – von der ehelichen Verpflichtung mal abgesehen –, die Sache mit ihrem Mann zu besprechen. Er ahnte nichts, wusste nichts von dem ursprünglichen Angebot, von ihrer Ablehnung oder den neuerlichen Überlegungen, es endgültig anzunehmen.
Sie waren im Garten und pflückten grüne Bohnen. Zum Abendbrot sollte es
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