Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
untergeordnete Rolle. (Man hatte sie aus einem Laden in einer Nebenstraße beschafft, der auf Berufskleidung für Frauen im Gesundheitswesen spezialisiert war.) Die Schuhe jedoch waren ein Glanzstück für sich. Ein Schuhmacher hatte sie gefertigt, der nicht nur ein Wappen führte, sondern auf seiner Visitenkarte kunstvoll drucken ließ, er sei Hofschuhmachermeister zwar nicht Ihrer Majestät, so doch vieler der Hofbeamten, die ihr dienten. Bescheiden gehalten, wie die Schuhe waren, schmückten sie immerhin goldene Schnallen, von denen allein eine das Lösegeld für jeden der eben erwähnten Höflinge aufwog.
Danach wurde die Perücke aufprobiert, das Haar ein wenigdunkler und üppiger als die Strähnen, die mühsam drapiert den kahlwerdenden Scheitel Seiner Lordschaft bedeckten. Alles in allem war es eine gelungene Verkleidung. Der Lord hatte sich von Anfang an als eine Reinkarnation des vor langer Zeit verblichenen Lord Shaftoe gefühlt, der auf einem von einem Kollegen Gainsboroughs gemalten Portrait verewigt war. Da man, wie aus dem Gemälde ersichtlich, damals eine Perücke trug, musste auch er eine solche aufhaben. (Schon am Tag zuvor hatte Seine Lordschaft bemerkt, dass ihm eine Perücke irgendwie stand, und er hatte kurz überlegt, ob er sie nicht – oder wenigstens einen Teil davon – seiner Alltagskleidung hinzufügen sollte. Er wollte das weiter überdenken. Freilich könnten einige Leute den Verdacht hegen, er trage nicht seine ihm von Gott gegebenen Locken, und würden mit ihren Bemerkungen nicht eben feinfühlig sein. Doch was kümmerte ihn schon, was andere dachten? Oder gar sagten. War er nicht Lord etc., etc., etc? Die Entscheidung wurde vertagt, dennoch schien er einer dunkleren, fülligeren Kopfbedeckung nicht abgeneigt zu sein.)
Während der Lord sich vor dem dreiteiligen Spiegel hin und her drehte, sagte der Schneider, dessen Selbstwertgefühl größer war, als es ein gewöhnlicher Adliger je zu erreichen hoffen konnte: »Ich vermute, Eure Lordschaft ist höchst zufrieden.«
Seine Lordschaft zupfte an dem Spitzenjabot und probierte, wie es am günstigsten die schlaffe Haut am Hals kaschieren und die Illusion erwecken konnte, dass sein Kinn nicht ganz so unscheinbar war wie von seinen Vorfahren ererbt. »Es geht so. Ganz ordentlich.«
»Und haben Sie das Gefühl, es könnte Eindruck auf andere Gäste machen, die zu dem Ereignis in … ist es Dublin? geladen sind?«
»Etwas außerhalb der Stadt, wo es prächtige Herrenhäuser gibt, in denen ein riesiger Ball gegeben werden kann, der großartig sein wird in Hinsicht der Zahl der Geladenen und ihrer Auserwähltheit. Alle werden höchst beeindruckt sein, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.«
Der Wechsel in der Tonart des Lords von nur zögerlich gespendeter Anerkennung zu enthusiastischer Begeisterung erklärte sich aus der Übereinkunft, die er dem Schneider nahegelegt hatte: Anstatt vulgärer Zahlung wollte Seine Lordschaft bereits vor dem großen gesellschaftlichen Ereignis in erwählten Kreisen in des Schneiders Meisterwerk auftreten. Das hätte zur Folge, dass sich Herrschaften in seine Werkstatt drängen und wie Bittsteller um ein ähnlich gearbeitetes Kostüm betteln würden. Der Schneider hatte nicht nur eine, sondern erwartungsvoll beide Augenbrauen gehoben und war rasch auf den Vorschlag eingegangen. Er wünschte sich schon lange, eine Klientel aus dem gesamten Königreich zu haben, zu dem (seiner Ansicht wie auch der Seiner Lordschaft nach) ein zeitweilig irregeleitetes, aber bußfertiges Irland gehörte. Wiedervereinigt mit den nördlichen Grafschaften, würde es an den alles vergebenden Busen des Mutterlandes gedrückt werden wie der verlorene, endlich heimgekehrte Sohn. Wenn ihm auch kein gemästet Kalb geschlachtet würde, wäre ihm wenigstens ein schmallippiges Willkommen sicher.
Die Kleidung war viel zu kostbar, als dass man sie einem Lieferdienst anvertraut hätte, auch hätte man das Kostüm kaum in Kartons zwängen können. Daher wurde beschlossen, der Gehilfe des Schneiders, der im höflichen Benehmen gegenüber Leuten von des Lords Bedeutung geschult war, sollte den Gentleman in sein Hotel begleiten und die Kleidungsstücke sicher auf sein Zimmer schaffen, und das stets in Begleitung Seiner Lordschaft. Der vornehme Herr würde darüber wachen, dass man die Sachen behandelte, wie es ihnen gebührte. Der Gehilfe würde den Überrock, die Brokatweste, das Seidenhemd und die Hosen in eine geräumige Kleiderkammer
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