Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
Vom Netzwerk:
Videospielen.
    »Celestinaaa! Meine Süße!«, ruft er, obwohl ich direkt vor ihm stehe.
    »Hi, Simon, ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden.«
    »Na, das ist ja originell, muss ich mir merken.«
    »Nein, Mensch, ich bin schon mindestens eine Stunde hier. Es gefällt mir nicht!«
    »Ooookaaayyy … schade, schade. Wollen wir woandershin?«
    »Nee, lass mal, mir reicht’s.«
    »Ooookaaayyy. Ich funk dir, wo wir später noch aufschlagen.«
    Simon ist in dem einen Jahr seit dem Abitur noch mehr so geworden, wie er ist.
     
    Ich trinke an der Bar schnell hintereinander zwei Wodka und schlendere ein bisschen durch die Nacht, der Mond ist nicht einmal halb zu sehen. Man kann auf viele Arten jung sein, leben und sterben. Verpassen tut dabei jeder was. Alles bestens also.
    Ich bin müde, erschöpft, mir ist kalt, trotzdem will ich nicht nach Hause und beschließe, zu Fuß auf den Kiez zu laufen, da ich so gut wie pleite bin. Ich gehe möglichst lange an der Hauptstraße entlang und treffe fast nur einzelne Personen, meistens Männer. Obwohl ich mittlerweile ziemlich betrunken bin und immer wieder Autos vorbeirasen, habe ich Angst und beschleunige meine Schritte, renne ein weites Stück der Strecke und fahre schließlich doch noch ein paar Stationen mit dem Nachtbus. Auf der Reeperbahn ist überall Licht, Musik, Grölen, die meisten Leute sind in Gruppen unterwegs – ich werde hellwach und friere nicht mehr.
    Ich suche eine Kneipe, in der ich mit Leuten aus meiner Klasse auf einer langweiligen Geburtstagsparty war. Ich finde den Laden einfach nicht wieder und hole mir an der Tankstelle einen halben Liter Elephant-Bier, das fast so viel Prozent hat wie Wein. Auf einer Bank sitzen französische Austauschschüler und quatschen mich an. Ich trinke mein Bier mit ihnen undhöre mir ihre deutschen Vokabelaufzählungen an. Sie sagen lauter versaute Sachen und gackern herum. Ich rufe ein paarmal »Bravo« mit französischem Akzent. Sie fragen, ob ich in genau die Kneipe mitkommen will, die ich gesucht habe.
    In der
Tube
hängen bunte Lichterketten an der Decke, der Tresen klebt, es gibt Graubrot mit Schweineschmalz für lau, es läuft Nirvanas »Come as You Are«. Die Leute sitzen in kaputte Sofas versunken und trinken alle das gleiche Bier. Ich entdecke Désirée. Sie schläft in einem Sessel auf dem Schoß ihres Freundes Malte, der auch nicht mehr besonders frisch wirkt, mir aber zunickt. Er hat ein breites Gesicht, stoppelige Pausbacken, einen geflochtenen Kinnbart und eine Stupsnase. Seine Augen stehen dicht zusammen, und sein Mund sitzt zu weit in der linken Gesichtshälfte. Unter seiner St.-Pauli-Mütze ragt splissiges Haar hervor. Er streichelt Désirée wie in Zeitlupe den Kopf.
    Die Franzosen laden mich zum Schnaps ein und sind ganz außer sich darüber, dass in der Muffbude so freimütig gekifft wird. Ich wecke Désirée. Kaum wach, hält sie mir die Hand zum Einschlagen hin. Ich stelle ihr die Franzosen vor. Sie spricht schlafwandlerisch sicher Französisch und wirkt auf einmal ganz adrett. Ich dachte, ihr Name wäre eine geschmacklose Laune ihrer Eltern gewesen. Dabei wurde sie in Cannes gezeugt. Ich erfahre, dass ihre Mutter ein französischer B-Movie-Star war, der deutsche Vater Koch auf Kreuzfahrtschiffen.
    Désirée schenkt den Austauschschülern einen Beutel Gras, nachdem sie ihre deutschen Vokabeln aufgezählt haben. Dann verkauft sie ihnen noch ein paar grüne Pillen mit Schmetterlingen drauf. Malte lädt uns zu einer Runde türkisfarbenen Schnaps ein, von dem noch niemand etwas gehört hat. Die Freude ist groß, die Luft schlecht. Als alle ausgelassen und sehr französisch akzentuiert »The Passenger« von Iggy Pop mitsingen, stelle ich mein Bier auf den Tresen, wimmele Alain nach einem kurzen Zungenkuss ab und gehe.
    Vor der Tür liegt ein Fahrrad. Das typische Fahrrad, das man eben so liegen lässt. Ich stelle es hin. Da der Ständer sofort einknickt, muss ich es auffangen. Die Kette ist verrostet und ausgeleiert, aber sie sitzt da, wosie hingehört. Die Farbe ist uneindeutig. Metallic-Bronzegrün mit einem Schuss Orange.
    Um die Stange sind mehrere »Ein Herz für Kinder«-Sticker geklebt. Es gibt am Lenker nur noch einen Gummigriff, ansonsten Klebstoffreste. In der Mitte klemmt statt einer Klingel eine Gummi-Entenkopf-Hupe. Ich sehe mich um und hupe. Kein Besitzer meldet sich. Also fahre ich los, die Reifen sind aufgepumpt genug, und die Rücktrittbremse funktioniert. Auf dem Weg nach Hause mache ich

Weitere Kostenlose Bücher