Das Schwein unter den Fischen
der Durst hört nie auf. Mein Magen wird flau, und wenn ich versuche, eine Kleinigkeit zu essen, bloß in ein trockenes Brötchen beiße, bekomme ich sofort Sodbrennen. Manchmal verschwinde ich kurz in den Vorratsraum und halte meinen Kopf in die Gefriertruhe. Mittags ist aber oft so viel los, dass ich nicht einmal auf die Toilette kann. Ich murre nie, sage nicht einmal, wie beschissen ich es finde, ich arbeite wie eine Besessene, weil es Reiner stolz und glücklich macht. Er hält mir die Hand zum Einklatschen hin und nennt uns das beste Team, das sich bei der Lebensolympiade tummelt. Ich strahle ihn an und hoffe, dass mir sein Glück zum Leben reicht.
Nach den Schichten starre ich im Spiegel auf meine schmierige, rotgefleckte Haut voller Mitesser, auf die tiefen blaugrauen Augenringe, und wenn ich mir in die Augen sehe, gerate ich in einen Identifikationsschlamassel und denke: Das bist du? Seltsam.
Um dabei nicht in Panik zu geraten, nehme ich mir in diesen Momentenfest vor, Reiner zu sagen, dass ich mein Leben so beschissen finde, dass ich wegmuss aus seiner Welt, dass ich nicht ihm und Ramona zuliebe immer kleiner werden kann. Sonst würde sich mein Selbstwertgefühl völlig auflösen, und ich würde in der Klapse landen.
Aber würden sie das überhaupt verstehen?
Ich brauche Menschen, mit denen man ein Gespräch führen kann, das über das Notwendigste hinausgeht. Ich habe mich bisher nicht getraut, auch nur einmal das Einklatschen mit Reiner zu verweigern. Ich hoffe, es ist schon etwas wert, dass ich für mich alleine beschlossen habe, nicht als irrer Feigling sterben zu wollen.
In der Lebenshilferubrik einer Frauenzeitschrift von Ramona las ich neulich, dass man statistisch gesehen neue Leute meist bei der Arbeit kennenlernt. Ich könnte in einer Bar anfangen, den Job würde ich hinkriegen. Aber bestimmt hängt dann irgendwann Ramona oder so jemand wie Ramona oder Simon und solche Leute da rum.
Die Hitze schlägt mir zusammen mit dem Restalkohol aufs Gemüt. Ich sollte den Rest des Tages zu Hause verbringen. Ich verlasse das Bad und bleibe nackt auf dem dunklen, schmalen Flur stehen. Im Schlafzimmer am Ende des Flures sehe ich Ramona hin und her huschen. Ich schleiche in die Küche direkt neben dem Schlafzimmer und lausche.
Ramona singt »Deine Spuren im Sand« von Howard Carpendale. Meine Haut trocknet schnell, und es ist schon wieder zu heiß, die Kopfschmerzen setzen genau dort ein, wo sie unter dem kalten Wasser aufgehört hatten. Ramonas Handy klingelt mit dem gleichen Carpendale-Lied, und als spüre sie meine Nähe, reißt sie die Ziehharmonika-Tür des Schlafzimmers zu, nachdem sie vertraulich »Hallöchen« gehaucht hat.
Ich trippele auf Zehenspitzen hinüber und lausche an der Plastiktür, durch die normalerweise jedes unliebsame Geräusch bis in mein Zimmer dringt, doch Ramona flüstert, deutlich vernehme ich nur ihr dreckiges Lachen. Also gehe ich zurück ins Bad, versperre die Tür mit der Wäschetonne und suche darin nach dem Bauchtanzrock. Der ausgeblichene Fetzen liegt ganz unten. Das Loch und die Schweißränder sind noch da. Ich starreauf das scheußliche Teil und rieche daran, sogar der Gestank ist verblasst. Ramona singt »Ti amo«, ich reiße das Loch noch weiter auf, bis der Rock vollkommen zerfetzt ist.
Als ich aus dem Bad komme, ist das grelle Deckenlicht im Flur an und die Schlafzimmertür wieder auf, Ramona summt nur noch, als sie mich erblickt, rennt mit einem Piccolo in der linken Hand hin und her, stellt sich vor den großen Spiegel im Flur, betrachtet sich zufrieden von allen Seiten und zieht ihren ohnehin übertriebenen Lidstrich nach. Sie trägt eine schwarze Pailletten-Korsage, hautenge Hüftjeans, einen goldenen String und weiße Stilettos. Aus ihren paar Haaren hat sie sich eine Palme auf dem Kopf gemacht – wie früher.
»Man sieht deine Unterhose«, sage ich.
»Na hoffentlich, die war schweineteuer!«, antwortet sie, ext den restlichen Piccolo und stellt die Flasche einfach auf den Boden.
»Verstehe, schick, schick, wo soll’s denn hingehen, schöne Frau?«
»Verarsch mich nicht, Stinker! Ich schwitz, da kommt man mit der Malerei gar nicht hinterher! Seit ich vierzig bin, bin ich ein Gesichtsschwitzer, bestimmt kriegt mich auch noch der Alterszucker!«
Ramona schwitzte schon früher immer so stark, dass es morgens von ihrem Gesicht auf meine Schulbrote tropfte, wenn sie mir überhaupt mal welche schmierte. Deshalb verschenkte ich meinen Proviant im Sommer
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