Das Schwein unter den Fischen
Unterschied mehr darin gemacht, was ich besser verdrängen sollte und was nicht.«
»Was ist nach dem Krieg aus Hans geworden?«
»Er ist nach Berlin, bekam eine Stelle bei einer Zeitung und heiratete eine Amerikanerin.«
Lilli nimmt sich eine von meinen Zigaretten, ich gebe ihr Feuer.
»Menthol, ach, wie albern, herrlich. Jetzt bist du dran, erzähl mir eine gute Geschichte!«, ruft sie.
Ich erzähle ihr von Iris’ letzter Liebe und dass sie von einem Leoparden gefressen wurde, nachdem sie ihr Engagement als lebender Schutzschild aufgegeben hatte.
Lilli lacht schallend, und ich sehe all ihre Falten. Sie will Iris auf dem Friedhof besuchen. Nach dem fünften Glas Brandy und nachdem ich auchein bisschen über meine Familie gesprochen habe, erlaubt Lilli mir, gründlich aufzuräumen, aber nur unter der Bedingung, ihr bald alles zu erzählen, was geschehen war, nachdem meine Mutter die Stadt verlassen hatte.
»Willst du deine Mutter finden?«
»Ich weiß nicht, aber ich werde nicht weiter nach ihr suchen.« Ich zucke mit den Schultern. Lilli winkt ab.
»Ach was, ich will dir nicht zu nahe treten.«
»Ist schon in Ordnung, Sie haben mir schließlich auch viel von sich erzählt, obwohl wir uns eigentlich gar nicht kennen.«
»Das ist etwas anderes. Das, was ich erzählt habe, sind alte Geschichten. Es ist viel mutiger, etwas von sich preiszugeben, das man noch erlebt. Etwas, von dem man nicht weiß, wie es endet. Alte Menschen reden gern. In meiner Generation war das Aussprechen von Erlebtem noch nicht so beliebt. Ich war vor ein paar Jahren mal in einer Gesprächsgruppe, um Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Die meisten waren noch immer Nazis. Nur ein Mann war dabei, der einzig anständige Mensch dort. Er hat sich umgebracht, weil er gemerkt hat, dass er seine Schuld nicht loswird, nur weil er endlich über das, was geschehen war, spricht. Die anderen haben es nach den Sitzungen auch nicht mehr lange gemacht. Sie sind sofort gestorben, nachdem sie alles zugegeben hatten. Jetzt ist die ganze Anonyme-Nazi-Gruppe tot, nur ich nicht.«
Lilli lacht.
Sie zeigt mir ihre Perückensammlung auf der Frisierkommode im Schlafzimmer, sogar eine blaue ist dabei.
»Die hat mir Yves Klein gemacht, nachdem ich in den fünfziger Jahren in blaue Farbe getunkt über eine Leinwand gerollt bin. Das war nicht so angenehm, ich war die älteste Frau von allen. Aber er mochte meinen Körper trotzdem.«
»Sie haben Yves Klein gekannt?«
»Natürlich, ich habe viele gekannt, schließlich habe ich nie wieder geheiratet und ich hatte auch keine, wie sagt man, feste Beziehung. Ich habe gelebt, und da war man früher am besten bei diesen Künstlern aufgehoben. Ich hatte eine Menge Spaß mit ihnen.«
»Warum haben Sie mir vorhin nicht gesagt, dass Sie Yves Klein kannten?«
»Vielleicht ist es mir vorhin einfach nicht eingefallen, ich weiß es nicht. Aber so ein toller Typ, wie du denkst, war er gar nicht. So, für heute ist jetzt aber mal Schluss mit dem Gequassel. Ich bin müde, sehr müde. Ich geh jetzt sofort schlafen. Morgen kommst du ja wieder. Vergiss nicht, dir nach dem Putzen die Hände einzucremen, sonst sehn die bald aus wie meine.«
Lilli schmiert mir aus einem Pott Creme zwei dicke Kleckse auf die Handrücken, schiebt mich zur Tür, drückt mir den Wohnungsschlüssel in die Hand und fragt:
»Hast du eine Oma?«
»Ich hatte Oma Senta.«
»Woran ist sie gestorben?«
»An einer gebohnerten Treppe.«
»Das sind früher viele! Auch Ehemänner! Kann man sich denken! Ja, das Bohnern. Fehlt sie dir?«
»Ich weiß nicht. Sie war eben Reiners Mutter.«
»Du willst nicht, dass dein Vater denkt, dass er dir nicht genügt«, bemerkt sie.
»Woher wissen Sie das?«
»Ach, ich weiß gar nichts, gute Nacht!« Lilli schiebt mich ins Treppenhaus und schließt die Tür. Dann öffnet sie die Tür sofort noch einmal einen Spalt breit.
»Kommst du dann morgen Mittag? Hier hast du Geld und einen Zettel mit den nicht alltäglichen Besorgungen. Gib ruhig alles aus. Wenn noch was über ist, kauf dir was!«
Ich erinnere mich an die alte Frau mit dem Federhut damals an der Raststätte.
»Haben Sie einen Hut mit Federn?«
»Früher hatte ich viele Hüte, aber heute reicht mir eine Perücke. Noch was drüberstülpen muss ich nun wirklich nicht, sonst bin ich ja ein Turm!«
Sie winkt mir mit einem Taschentuch zu, als stehe sie auf einem Schiff.Dann schließt sie die Tür. Ich warte einen Moment, aber das war es wohl für heute.
Ich habe
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