Das Schwein unter den Fischen
keine Lust, nach Hause zu gehen. Ich schalte das Licht ein und setze mich auf eine Treppenstufe. Unten öffnet jemand die Eingangstür. Ich höre Musik, die aus einem Kopfhörer dröhnt. Es ist bestimmt wieder dieser Typ. Lilli hat gesagt, er heißt Enki, den Namen habe ich noch nie zuvor gehört. Er kommt die Treppen hoch und bleibt vor mir stehen. Ich rücke zur Seite, damit er an mir vorbeikann, aber er rührt sich nicht von der Stelle, nimmt erst die Kopfhörer ab, dann die Kapuze. In dem Moment geht das Licht aus.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt er.
»Ja, alles gut.«
Er beugt sich über mich, greift an mir vorbei, schaltet das Licht wieder an und sieht mir dann lange und direkt in die Augen. Wir sagen beide nichts, er hat große braune, warme Augen und einen aufmerksamen Blick. Ich stehe auf, da gibt er mir die Hand.
»Enki.«
»Stine.«
»Wir sehn uns noch, Stine.«
Als er an mir vorbeigeht, lehne ich mich an die Wand und zähle seine Schritte bis zu Heinrichs Wohnung. Ich frage mich, wann ich ihn wiedersehe. Enki könnte vielleicht ein guter Freund werden. Aber bestimmt ist er gern allein. Noch viel lieber als ich es bin. Mein Herz schlägt schnell, ich bekomme kaum Luft und renne die Treppen runter, raus auf die Straße.
EIN PINGUIN AUF DER ANTENNE
Ich stehe vor dem himmelblauen Haus. Joachim hat gesagt, ich solle nach meinem Besuch bei Lilli bei ihm vorbeikommen, um über den Tag zu reflektieren. Es ist inzwischen Nacht, und müde hängt die Hitze zwischen den Häusern. Als ich klingele, öffnet mir niemand, doch die Tür ist nicht verschlossen.
Ich rufe hinein:
»Hallo? Ich bin wieder da!«
Im ersten Stock höre ich es rumpeln. Joachim ruft, ich solle bleiben, wo ich bin, er komme runter. Ich setze mich in die dunkle Küche. Da steht er plötzlich verschwitzt in der Tür.
»Was machst du denn hier, allein im Dunkeln?«
»Du hast doch gesagt, ich soll noch mal vorbeikommen!«
»Habe ich das gesagt? Aber ich meinte am Nachmittag, nicht mitten in der Nacht! Warst du bis eben bei Frau Bonne?«, fragt er, schaltet das Licht an und dreht den Dimmer hoch.
»Ja.«
»So lange?«
»Ja. Es war nett, sie ist nett und interessant.«
Joachim scheint sich nicht zu freuen.
»Soll ich noch die Spülmaschine ausräumen?«, frage ich.
»Das brauchst du nicht, Dunja macht das morgen früh, sie musste mit Herri in die Notaufnahme, der hat wohl eine Magenschleimhautentzündung, er ist zusammengebrochen und hat sich gekrümmt vor Schmerzen. Es war also gut bei der alten Hexe?«
»Sie ist überhaupt keine Hexe!«
Er reibt sich das Kinn, nickt, oben hustet Ramona. Erst ist es mehr ein Röcheln, dann hustet sie eine Weile mit Inbrunst, bis der Schleim kommt.
Joachim reibt sich das Kinn schneller, guckt mit seinen Kalbsaugen an die Decke, sein Adamsapfel wandert auf und ab. So ein Idiot. Die Kalbsaugen schließen sich, er senkt den Kopf.
Ich sage:
»Eigentlich braucht Frau Bonne tägliche Betreuung, sie ist doch fast hundert. Dafür würde ich gern doppelt bezahlt werden, fünf Tage die Woche und jeden zweiten Samstag! Außerdem darf sie ab heute essen und trinken, was sie will. Und Zigaretten rauchen! Und Zigarren!«
Er sieht mich entgeistert an, dann traurig. Schließlich zuckt er mit den Schultern, nickt und sagt:
»Gut, in Ordnung, was soll’s, was soll’s.« Joachim Matthias’ Gesicht ist rotfleckig, das Kinn wund, sein Hosenstall auf, ich rufe nach oben, dass Ramona in spätestens einer Stunde zu Hause sein solle, und verschwinde.
Draußen treffe ich Dunja. Sie erzählt, dass Herri so starke Tabletten gegen die Schmerzen bekommen hat, dass er plötzlich gute Laune bekommen und ihr an den Busen gefasst habe. Sie wirkt, als hätte sie auch irgendwas genommen. Sie redet über die Spülmaschine und darüber, dass zu Hause ja ohnehin keiner auf sie warte.
Während sie vor sich hin redet und ich ihr gar nicht mehr richtig zuhören kann, muss ich plötzlich an Enki denken. Ich frage mich, was das für ein merkwürdiger Name ist. Ein Künstlername vielleicht? Oder Arabisch, Türkisch, Französisch, ich weiß es nicht, es ist mir auch egal, ich hätte einfach nur gern die gleichen Kopfhörer und so eine schwarze Kapuzenjacke. Als Dunja sich verabschiedet, drückt sie mich ganz fest an ihre großen Brüste. Sie riecht nach Lavendel, wie der Schrank von Oma Senta.
Eine halbe Stunde später stehe ich unter der kaputten Straßenlaterne vor dem Imbiss und beobachte Reiner, der sehr beschäftigt ist. Aber
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