Das Schwein unter den Fischen
watschelt, glitscht, schwimmt und taucht, mehr kann er nicht!«
»Doch, das tut er sehr wohl, komm und sieh es dir an«, antwortet Lilli voller Begeisterung.
Ich gehe zu ihr und sehe eine Elster auf der Antenne.
»Das ist aber doch eine Elster!«
»Es könnte aber auch ein Pinguin sein, wenn du genau hinsiehst und die Augen zusammenkneifst, schau nur, mach es so wie ich.« Sie kneift die Augen fest zusammen.
»Das machen Sie? Das mache ich auch dauernd, seit ich denken kann, mache ich das!«
Wir stehen am Fenster, sie legt den Arm um mich, wir kneifen die Augen zusammen, und da sitzt er, der dicke fette Pinguin, er fliegt ein bisschen umher und landet dann immer wieder auf der Antenne des anderen Hauses. Unter seinem Gewicht bricht sie schließlich ab, er rutscht auf dem Bauch das Dach runter, gleitet ins Wasser des Yves-Klein-blauen Meeres, das die alten Häuser umspült, taucht ab, wir sehen verschwommen seine Silhouette, bis er ganz in den Tiefen der Häuserschluchten verschwindet.
Ich sage:
»Bestimmt gibt es da unten viele kleine Fische, er wird genug zu fressen finden und wieder zurückkommen. Hoffentlich.«
Zufrieden schaut Lilli mich mit noch immer zugekniffenen Augen an.
»Wenn ich dich jetzt ansehe, sehe ich, was du alles sein kannst. Aber ich werde es dir nicht verraten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kannst du es dir selbst vorstellen.«
»Ich würde auch gern auf der Antenne da drüben sitzen. Aber ich bin eben kein Vogel.«
Lilli öffnet die Augen und schüttelt sich.
»Nein, das bist du zwar nicht, aber du bist eine sehr nette Gesellschaft. Komm, essen wir endlich! Wo bleibt denn Heinrich, der alte Spinner? Hast du seine Zehennägel gesehen? Meine Augen funktionieren immer noch gut genug, um so etwas hässlich zu finden. Ich bestehe darauf, dass er im Bett Socken trägt! Wo bleibt er nur mit dem Risotto? Ich könnte es jeden Tag essen. Heinrich war lange in Italien. Er sagt, die Italiener seien große Jazz-Liebhaber, das wisse nur kaum einer. Viele meinen, Italiener lieben nur Adriano Celentano und die Oper. Heinrich lernte in Portofino bei einem exzellenten Koch, der Jazz liebte. Er konnte kein Instrument spielen, aber er polierte täglich mit Hingabe sein Saxophon. Ich gucke mal, wo Heinrich bleibt.«
»Soll ich den Tisch decken?«
»Das ist eine gute Idee, du deckst den Tisch, das Geschirr steht in der Küche. Da kannst du auch gleich nach Heinrich sehen, und ich schaue noch ein bisschen aus dem Fenster. Vielleicht kommt noch ein Strauß vorbei. Ich mag ihre langen, haarigen Hälse.«
Heinrich rührt noch immer in dem Topf. Er würdigt mich keines Blickes, als ich die Küche betrete. Irgendwann sagt er:
»Ja, meine Zehennägel sind seit eh und je eine Attraktion. Als Kind hatte ich deshalb eine Menge Ärger. Ich habe sie immer versteckt, sogar während heißer Sommer trug ich Socken. Aber irgendwann hatte ich die Angst vor Löchern satt. Ich bewarb mich mit meinen Zehennägeln bei einem Wanderzirkus, dem berühmten Zirkus Laterna. Leider musste ich vomZirkusdirektor erfahren, dass meine Nägel überhaupt nicht sensationell waren. Er stellte mir seine Frau vor. Und denk dir, Stinchen, die hübsche runde Dafne hatte sogar an den Händen diese nach oben gewachsenen Nägel. Er hätte viele Frauen mit geraden Nägeln heiraten können, immerhin war er ein attraktiver Direktor. Doch er wollte nur die eine. Und Frau Zirkusdirektor Laterna war so stolz auf ihre besonderen Nägel, dass ich begriff, dass auch meine Zehen kein Makel waren.
Dafne war immerzu mit der Pflege und Bemalung ihrer Nägel beschäftigt. So verpasste sie beinahe jeden Abend den Beginn der Pause, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich Zuckerbrezeln verkaufen sollte. Sie vermasselte dem Direktor das Geschäft, weshalb er mich dann doch noch einstellte. Ich stand jeden Abend pünktlich zur Pause mit einem Korb Brezeln bereit. Nach der Vorstellung verkaufte ich Heliumballons. So kam ich zur Musik. Ich beobachtete die ganze Zeit über die Musiker der Zirkuskapelle, während ich vor und nach der Pause herumstand. Nach zwei Jahren konnte ich jedes einzelne Lied nachspielen, ohne vorher auch nur ein Instrument angefasst zu haben. Ich trat der Kapelle bei und überredete die anderen Musiker, rechtzeitig vor der Pause einen Tusch zu spielen, damit Dafne ihren Einsatz nicht mehr verpasste. Der schöne Direktor war dankbar, aber geizig! Er kündigte den Musikern und ließ mich als Ein-Mann-Kapelle auftreten. Ich wurde die
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