Das Schwein unter den Fischen
würde sie nie wieder sehen.«
»Und?«, frage ich nach, als er schweigt.
»Vor ungefähr zehn Jahren habe ich sie dann wiedergesehen.«
»Wo?«
»Im Fernsehen.«
»Dann hat sie doch noch die Kurve gekriegt?«, frage ich.
»Nein, es war in einem Beitrag über die fettesten Menschen der Welt, und sie war die Fetteste von allen!«
»Hast du sie gleich erkannt?«
»Ja, sofort, noch bevor ihr Name genannt wurde, habe ich sie an ihrem teilnahmslosen Blick erkannt. Das Gesicht eines Menschen, den man geliebt hat, vergisst man nicht! Aber noch einprägsamer war dieser furchtbar stumpfsinnige Ausdruck, den sie sich damals schon während der Reha zugelegt hatte. Diese Gleichgültigkeit allem gegenüber hatte sie hässlich gemacht. Und dieser Anblick löste in mir sofort wieder die gleichen Aggressionen aus, und so erkannte ich sie an meiner Abneigung wieder. Zum Glück sah ich mir die Sendung bis zum Schluss an. Sie hatte nämlich doch noch ein Interesse entwickelt. Sie entwarf Dessous für Dicke und war damit sehr erfolgreich. Sie schien mir weitaus zufriedener zu sein, als damals, als dürre Primaballerina.«
Lilli hat inzwischen alles in die Küche getragen und setzt sich wieder zu uns.
»Enki kommt heute erst spät. Als ich ihn vorhin getroffen habe, hat er mir erzählt, er wolle mit seiner Mutter zu der Vernissage einer Freundin. Celestine, du bist ja rot wie eine überreife Erdbeere. Bekommt dir der Alkohol nicht?«
»Ja, dieses süße Zeug. Mir ist davon ganz warm geworden«, sage ich.
Heinrich sagt mehr zu sich selbst:
»Nach einer großen unglücklichen Liebe kann man sich lange nicht mehr auf etwas anderes einlassen, manchmal dauert es sogar so lange, bis man …«
Ich unterbreche ihn:
»… mehr Angst vorm Tod hat. Ich denke oft darüber nach, was andere Menschen aus Angst vor dem Tod so alles machen.«
»Na, Sport zum Beispiel, dabei verbraucht man allerdings zu viel Energieund Zeit. Ich glaube, es ist gesünder, ab und zu einen Tag im Bett zu verbringen, als ziellos in der Gegend umherzujoggen und Passanten mit einer Schweißfahne zu belästigen.« Heinrich schenkt sich noch einen Likör ein.
»Ach, Heinrich«, sagt Lilli, »du fauler alter Mann.«
»Wer denkt, ist nicht faul!«, sagt Heinrich.
»Celestine, jetzt mal abgesehen von den neurotischen Liebeleien deiner Jugend, wer ist immer die erste große Liebe des Lebens?«
»Irgendein Popstar?«, frage ich.
»Die Eltern«, sagt Lilli.
»Aber meine Mutter kenne ich nicht.«
»Siehst du, was für eine große Enttäuschung. Aber dein Vater gibt sich Mühe.«
»Ja, er gibt sich Mühe.«
Ich stehe auf, gehe runter in die Küche und fange an abzuwaschen. Als ich damit fertig bin, wische ich Staub und poliere das Besteck. Heinrich kommt die Treppen runter.
»Nett von dir.«
»Keine Ursache, mache ich gern, das räumt meinen Kopf auf.«
»Das ist mir noch nie passiert. Ich hasse jede Art von Hausarbeit und erst recht den Staub, der dabei aufgewirbelt wird. Da ist mir der Dreck lieber. Aber wenn dir gerade danach ist, kannst du gerne die ganze Wohnung putzen.« Er dreht sich einmal im Kreis, fuchtelt mit den Armen und betrachtet dann etwas Unsichtbares auf seiner Hand:
»Guck, wie sie freudig tanzen und feindlich funkeln, die kleinen Staubbiester!«
»Warum hast du keine Putzfrau? Geld scheinst du ja zu haben!«
»Ich hasse es, Angestellte zu haben, das ist nicht nach meinem Geschmack. Um mein Gewissen zu beruhigen, müsste ich ihnen so viel zahlen, dass ich schnell verarmen würde und in eine winzige Behausung ziehen müsste. Das würde ich schon aushalten, aber wohin dann mit meinen ganzen Sachen?«
»Ich könnte umsonst für dich putzen, ich bin jetzt sowieso fast jeden Tag hier. Ich werde ja schon bezahlt, und so viel kann ich bei Lilli gar nichtputzen. Es ist inzwischen so sauber bei ihr, dass ich auch noch Zeit für deine Wohnung hätte. Also, wenn du nichts dagegen hast? Ich könnte hier einmal bis in die hintersten Winkel durchschrubben und alles richtig aufpolieren!«
Heinrich sieht mich ungläubig an und tippt mit einem Finger auf seiner Nase herum.
»Dazu hättest du wirklich Lust? Freiwillig? Ich würde dir sozusagen einen Gefallen tun?«
»Ich hätte einfach gern was zu tun, ich kann auch irgendwelche Unterlagen sortieren, abheften, deine Anzüge bügeln, was du willst.«
Heinrich ist nicht sicher, ob er mich nicht doch ausnutzen würde. Er windet sich im wahrsten Sinne des Wortes vor mir und schwenkt eine Espressokanne hin
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