Das Schwein unter den Fischen
und her.
»Mensch, Heinrich, warum ist das so ein Problem für dich?«
»Ich war mal ein führender Gewerkschaftler.«
»Dann bezahl mich doch nach Tarif.«
»Aber nachdem ich Gewerkschaftler war, trat ich einer Sekte bei, die Geld als Zahlungsmittel ablehnte, das war damals in Finnland. Schöne Zeit war das, diese Natur, das Surren der Insekten, die längsten Tage meines Lebens. Wir haben einfach nur gelebt. Dann wurde mir das zu langweilig, ich ging nach Wien und verfiel einer Adligen – in erotischer Hinsicht. Sie ging aus Langeweile anschaffen. Als sie sich in mich verliebte und ich sie trotzdem weiter bezahlen wollte, jagte sie mich in der Früh aus ihrer Wohnung. Sie rannte mir fluchend und nackt bis auf die Straße hinterher, dabei wurde sie von dem Müllwagen überrollt.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«, frage ich.
»Geld macht alles kaputt.«
»Nimmst du keine Miete von den Bewohnern deines Hauses?«
»Nur das Nötigste, um die Kosten zu decken.«
»Heinrich, lass mich einfach machen, ich brauche Ablenkung.«
»Wovon?«
»Von meinen Leuten.«
»Aber warum willst du dich in meiner Wohnung ablenken?«
Ich denke an Enki, meine Ohren werden heiß, ich sehe zu Boden und schiebe mit dem Fuß energisch etwas Unsichtbares zur Seite.
Heinrich sagt:
»Ja, nun gut, wie auch immer, der Mensch muss etwas produzieren, um sich lebendig zu fühlen. Und wenn es bloß Sauberkeit und Ordnung ist. Meinetwegen.«
Heinrich bekomme ich in den nächsten Tagen kaum zu Gesicht. Ich habe keine Ahnung, wo er sich herumtreibt. Auch Enki habe ich bisher nicht getroffen, anscheinend schläft er doch ab und zu bei seinen Eltern oder bei einer Frau.
DIE ANANAS
Ich bin in Heinrichs Wohnung damit beschäftigt, ein großes und bis an die Decke vollgestelltes Zimmer zu räumen, um den klebrigen Fußboden wischen zu können. Um die Glühbirne, die nackt von der Decke baumelt und die vor Jahren durchgebrannt ist, zu wechseln, klettere ich mühselig über zwei ächzende Regale bis auf die zentimeterdicke Staubschicht eines Schrankes, von dem aus ich meine Arme so weit strecken kann, dass ich sie zu fassen bekomme. Ich wechsle die kaputte Glühbirne durch eine Schwarzlichtbirne aus, die Heinrich mir auf den Küchentisch gelegt hat. Dann drücke ich den Lichtschalter. Noch nie habe ich ein so vollgemülltes Zimmer gesehen, selbst bei Oma Senta nicht. Zu Beginn ist es nicht einmal möglich, bis zum Fenster vorzudringen, um die samtenen Vorhänge aufzuziehen und es zu öffnen. Ich schalte den kugeligen Staubsauger ein, auf den jemand ein putziges Gesicht gemalt hat, stelle das Rohr aufrecht und lasse ihn eine ganze Stunde allein in dem Raum seine Arbeit verrichten. Erst danach ist es möglich, ein paarmal ein- und auszuatmen, ohne zu husten. Ich setze meine Arbeit trotzdem mit einem nassen Tuch über Mund und Nase fort. Nach Hause gehe ich nur noch, um zu schlafen. Ich sehe Reiner beinahe jeden Abend mit Blumen-Tine. Ramona sehe ich kaum noch. Wenn einer von beiden seine Affäre beendet, werden die Dinge außer Kontrolle geraten.
Ich habe auf Heinrichs Flur vier Stapel gebaut. Sie unterscheiden sich wie folgt:
Stapel 1: Sachen, die Heinrich unbedingt behalten sollte, die aber einen würdigeren Platz verdient haben. Dazu gehören zum Beispiel eine Tuba, eine Laterna Magica, ein orientalischer Teppich, eine Glaskugel, ein goldenes Teeservice, eine Jukebox, ein Tamburin.
Stapel 2: Sachen, die Heinrich ruhig weiter in dem Zimmer aufbewahrenkann, die aber besser geordnet gehören: lose Fotos, gemalte Filmplakate, Tiaren, verschiedene Zauberstäbe und Hüte, Ausstellungskataloge, Tabulatoren, Pin-up-Kalender verschiedener Jahrzehnte und mehrere Schottenröcke.
Stapel 3: Hier liegen Dinge, von denen ich mir nicht sicher bin, ob Heinrich sie lieber behalten, verleihen oder vielleicht verkaufen möchte, zum Beispiel an ein Museum. Dazu gehören ein ausgestopfter Tapir, ein getrockneter Piranha auf einem Brett, ein uralter Sattel, ein riesiger Schildkrötenpanzer, mehrere gebundene Ausgaben der Bibel und des Talmuds, ein Tandem, eine Tätowiernadel, ein Tutu, eine Wehrmachtsuniform.
Stapel 4: Dorthin habe ich alles gelegt, was ich für Müll halte: mindestens zwanzig Gläser abgelaufene exotische Soßen, Chutneys, Marmeladen, in Essig eingelegtes Gemüse, Pasteten und Pasten, eine angebrochene, deckellose Flasche Mariacron, in der eine Armee von Fruchtfliegen treibt und auf deren Boden ein unerklärlicher, schwarzer Klumpen
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