Das Schwein unter den Fischen
überbewertet. Trink deinen Wein, dann haben wir auch etwas geteilt, mehr als ein paar hohle Worte, die bloß das Schweigen beschallen.«
Sie steckt sich eine Zigarette an und sagt:
»Frag nicht, wenn du willst, nimm dir einfach!«
»Danke«, antworte ich und rauche nicht.
Sie raucht ihre Zigarette genau wie Iris damals, zieht so kräftig, dass die Funken sprühen und die Zigarette nach wenigen Zügen aufgeraucht ist.
»Warum sehen Sie sich nicht die Vorstellung an?«
»Warum siehst du sie dir nicht an?«
»Ich wusste nicht, dass es eine Vorstellung gibt.«
»Ich kann das Stück auswendig.« Sie sagt es verächtlich.
»Haben Sie es geschrieben?«
»Nein, natürlich nicht, mein Leben beschränkt sich aufs Zuschauen. Mehr will ich nicht! Zuschauen: großartig, großes Kino! Etwas erschaffen: nein, danke! Ich lebe von einem Augenblick zum nächsten. Ich erschaffe nichts, ich lebe und sterbe bloß. Ich bin doch nicht wahnsinnig und mache mir das Leben auch noch kompliziert.«
»Dann haben Sie das Stück also schon so oft gesehen, dass es Sie langweilt?«
»Langweilen, ja, gesehen, nein.«
»Sie haben es nicht gesehen und sind trotzdem gelangweilt davon?«
»Exakt!«
»Wie geht das?«
»Lies doch mal das Programmheftchen durch. Es geht um Liebe, Enttäuschung, Sucht und Kriminalität. So ist doch das ganze Leben, das kenn ich schon, das Leben. Guck dir lieber meinen wundervollen Sohn an!«, ruft sie.
Enki kommt zurück und sagt:
»Tut mir leid, ich musste da noch mit jemandem was klären.« Er seufzt.
Kirsten, das blonde Mädchen von neulich aus dem Treppenhaus, stürmtaus der Tür des Cafés. Sie trägt eine schmierige Schürze und eine Kochmütze. Ihr Gesicht ist gerötet und verheult.
»Darf ich vorstellen? Das ist Kirsten, sie kocht hier.«
Kirsten brüllt: »Fick dich, du Vollwichser, du Schwachmat!«
Ingrid ruft entzückt: »Die hast du mir gar nicht vorgestellt, Enki. Was für ein Charisma! Charmant!«
Kirsten läuft auf Enki zu und versucht ihn zu würgen. Er hält ihre Arme fest, was ihm aber nicht viel hilft. Sie scheint ziemlich kräftig zu sein und drückt ihn zu Boden. Sie rollen über den Kies, Kirsten flucht, Enki stöhnt. Irgendwann sitzt Kirsten auf ihm und versucht immer noch, ihn zu würgen.
Ingrid steht auf und geht, eine Arie schmetternd, in das Café. Kirsten prügelt auf Enki ein und streckt immer wieder ihre Hände in Richtung seines Halses aus. Diesmal ist sie erfolgreich. Sie drückt zu, sein Gesicht läuft rot an, er kriegt keinen Ton mehr raus und strampelt mit den Beinen. Ich springe auf, ziehe an Kirstens Kochmütze, die mit Spangen an ihren Haaren befestigt ist. Ich zerre daran, Enki ist schon fast violett. Schließlich ziehe ich ihr das Ding mit einem brutalen Ruck vom Kopf, wobei ich ihr ein paar Haarsträhnen rausreiße. Sie lässt von Enki ab, schaut mich wild an und brüllt: »Meine Haare, du Fotze!«
Sie springt auf, rennt auf mich zu und schreit. Ich packe sie an ihren blonden Haaren und zerre ihren Kopf nach hinten. Sie versucht trotzdem, mir an die Gurgel zu springen – und sie schafft es. Leute kommen aus dem Theater, das Stück muss zu Ende sein, das könnte mein Leben retten. Kirsten wütet in einem ungebremsten Anfall sadistischer Raserei, und sie ist stärker als ich. Ich bin mir in diesem Moment sicher, dass sie stärker ist als alle anderen Menschen auf der Welt. Sie packt meinen Hals und drückt mir die Luft ab. Ich gerate in Panik, das Adrenalin schießt durch meinen Körper, und ich höre von weit weg Menschen applaudieren und jubeln. Da sehe ich verschwommen, wie jemand Kirsten von links eins auf die Fresse haut. Blut spritzt. Sie lässt von mir ab, ich schnappe nach Luft. Ich sehe Ingrid, sie hat Kirsten jetzt im Schwitzkasten. Eine schwarze Frau im Matrosenhemd kippt Kirsten einen Eimer Wasser mitEiswürfeln über den Kopf und gibt ihr ein paar Ohrfeigen. Ingrid haut auch noch mal zu.
»Es reicht, Mama!«, höre ich Enki brüllen.
Die Frau im Matrosenhemd sagt: »Was ist denn hier los, seid ihr irre?«
Die Frau ist Mira, die Regisseurin. Enki stellt sie mir vor. Kirsten hat sich immer noch nicht beruhigt. Sie schreit und fuchtelt die ganze Zeit wild mit ihren Händen in der Luft. Zum Glück blutet ihr aufgeplatztes Gesicht so stark, dass der gerufene Notarzt sie zum Nähen mit ins Krankenhaus nimmt.
»Na, das war ja mal ein Schauspiel! Phantastisch!«, ruft Ingrid.
Mira schüttelt nur den Kopf. »Kirsten ist jähzornig, da darf man ihr
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