Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
den Steinen, dem Treppenabsatz und den Stufen lagerte und es nicht mehr so aussah, als wäre er rücklings heruntergefallen, unfähig, wieder aufzustehen und sich selbst zurechtzurücken. Was noch zu tun blieb, war, jeden einzelnen Knochen in die Kleidungsstücke zu stecken und dabei Sorge zu tragen, dass der Oberschenkelknochen oberhalb von Schienbein und Wadenbein im Hosenbein steckte, der Oberarmknochen oberhalb von Elle und Speiche im Ärmel. Nicht umsonst hatten ihn in der achten Klasse Wörter und der Klang von Wörtern so fasziniert. Was konnte aufregender sein, als Dinge, die man vom Namen her kannte, in natura zu erleben:
femur, tibia
und
fibula
, nebst
humerus, ulna
und
radius
, sowie ferner
vertebrae thoracicae, scapula, patella
und, als Bestes von allem,
clavicula
. Sein Interesse damals hatte ihn zunächst verleitet, Arzt werden zu wollen; aber als ihm später aufging, dass es der Klang der Wörter war – die Art und Weise, wie sie im Mund und auf der Zunge entstanden –, wusste er, dass er zu einem Mann der Worte auserkorenwar, zu einem Schriftsteller, dem begnadetsten aller Menschen, einem, den ein Leben lang Rhythmus und Klang begleiten würden, Auftakt und Abgesang der großartigsten Schöpfung, die es auf der Welt gab: des Wortes.
Zu Aarons Füßen lag das vertraute Skelett von Declan Tovey, nunmehr wieder zusammengefügt, nur der Schädel wartete noch auf seine Platzierung nahe der verschlossenen Wandtäfelung, dann hatte er sein Werk vollendet. Es gab viele Fragen, mehr als Aarons Kopf fassen konnte. Aber es gab nur eine Antwort. Und deren war sich Aaron sicher. Eine eifersüchtige Hand hatte Declan Tovey den Garaus gemacht. Wer zu dem Schlag ausgeholt oder das Gift eingegossen hatte, blieb noch ein Geheimnis, wenn auch eins, das sich selbst beim Einsatz der dämlichsten Polizistentruppe nicht der Aufklärung würde entziehen können. Was der Sache im Wege stand, und das mit aller Hartnäckigkeit, war der Unwille der Verdächtigen, zur Klärung des Falles beizutragen. Die Nichtachtung dessen, was auf der Hand lag, schien landestypisch zu sein, das Beharren auf umständlichen Erklärungen angeboren, und das Bestreben, die Verworrenheit zu vergrößern, wurde fröhlich auf die Spitze getrieben. Da jeder der Beschuldigten den anderen beschuldigte, konnte die Liste der Verdächtigen nur immer länger werden. Den ganzen Ort konnte man mit hineinziehen, so dass einer auf den anderen zeigte und ein einziges Netz von Verdächtigungen entstand, bis von dem Schutzmantel des Gemeinwesens nur noch Lumpen und Fetzen blieben, bis der, um mit Shakespeare zu reden, »mädchenblasse Frieden« erdrosselt blau anlief im Gesicht. Declan Toveys Knochen würde man sinnlos hierhin und dorthin zerren, rasselnd würden sie sich – ein durcheinandergeworfener Haufen – zur Wehr setzen, bis alles zu feinem Staub zerrieben wäre, den herzustellen die Natur Äonen gebraucht hätte.
Aaron bückte sich, um den kahlen Schädel auf der obersten Stufe da abzulegen, wo er hingehörte, und so sein Restaurationswerk zu vollenden, als er es am obersten Ende des verschlossenen Wandausschnitts klicken hörte. Das Timing hätte besser nicht sein können. Man hatte ihm exakt die nötige Zahl an Minuten und Sekunden zugestanden, die er gebraucht hatte, um mit seinem Ritus der Pietät zu Ende zu kommen. Gleich würde sich das Wandstück öffnen, und er konnte einer überraschten Tante und einer bewundernden Lolly McKeever die Früchte dieser Pietät offerieren. Feierliche Dankesbezeugungen würde es rieseln, dazwischen Fragen und Staunen, wie er etwas so Großartiges hatte bewerkstelligen können. Glück- und Segenswünsche würden ihn begleiten, wenn man die Gebeine zurück auf das Priesterbett schaffte, wobei man das Laken mit größter Sorgfalt anheben würde, um seiner Hände Arbeit zu bewahren und den geschändeten sterblichen Überresten so etwas wie Respekt zu zollen.
Aaron stand auf der Stufe unterhalb von Declans Schuhen, sein Kopf – vom Wandausschnitt her gesehen – nur eine Spur höher als der Schädel des Toten. Angesichts des vollbrachten Werkes holte Aaron tief Atem. Im gleichen Moment schloss sich, wie zur Selbstverteidigung, sein Kehldeckel, doch hatten noch Spuren des übelriechenden Gases in seine Kehle dringen können, in die Lunge und auf nicht nachzuvollziehendem Wege selbst in Augen und Stirnhöhle. Er hustete, würgte, hustete erneut. Tränen verschleierten ihm die Augen. Es stach in der Nase. Seine
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