Das Schwert der Keltin
Beschimpfungen entgegenzuschleudern. Seit der römischen Invasion hatten die Stämme sogar noch dazugelernt, und die Speere, die sie nun warfen, waren die von den Legionssoldaten gestohlenen Wurfspieße, deren Spitzen mit weichem Eisen eingefasst waren, das sich beim Aufprall verformte, so dass sie kein zweites Mal aufgenommen und wieder zurückgeschleudert werden konnten. An einem Tage wie heute, an dem der Fluss bereits so stark angeschwollen war, machte das aber ohnehin keinen großen Unterschied mehr, denn nur sehr wenige besaßen die Kraft, einen Speer in gerader Linie bis ans andere Ufer des Stroms zu schleudern. Ihre Wirkung war vielmehr eine psychologische, die auf den Mut und das Herz der wartenden Legionssoldaten zielte, die hilflos dort stehen und das Geschehen mit ansehen mussten; in der Vorahnung dessen, was ihnen da in Kürze bevorstand. Schon zweimal hatte sich eine Zenturie von Legionssoldaten dazu provozieren lassen, bis an das Ufer des Flusses vorzutreten und ebenfalls dem Feind ihre Wurfspieße entgegenzuschleudern, diese damit aber gleichermaßen an den Fluss zu verschwenden.
Der Morgen verstrich viel zu langsam und ohne dass man schon irgendeinen Erfolg hätte vorweisen können. Irgendwo außerhalb des Blickfelds der Römer hatte eine der Stammesgruppen einen schrillen, wehklagenden Gesang angestimmt, der sich durch das Donnern des Flusses hindurchschlängelte, über ihn hinwegglitt und die ohnehin schon aufs Ärgste angespannten Nerven der jungen Rekruten nur noch stärker auf die Probe stellte. Einige der Männer in den vordersten Reihen der Legionen griffen nach ihrem Kurzschwert und rückten ihren Schild zurecht, verschwendeten damit aber bloß ihre Energie und strahlten ihre Angst schließlich auch auf die anderen aus. Ganz rechts, in einigem Abstand zum Fluss, wehte knatternd Scapulas Standarte im Wind. Zweimal war der Statthalter nun schon bis zum Wasser hinuntergeritten, und zweimal war er unverrichteter Dinge wieder zurückgewichen. Valerius beobachtete Scapula und spürte, wie dessen Unentschlossenheit sich jetzt langsam auch in Richtung Süden und durch die Reihen der Soldaten hindurch ausbreitete. Ebenso spürte Valerius, dass Longinus noch immer eine Antwort auf seine Frage erwartete, und wurde sich bewusst, dass er diese offenbar nur im Geiste gegeben hatte.
»Es sind weniger Krieger aufmarschiert als am ersten Tag der Schlacht an der Themse«, entgegnete er. »Wir sollten froh darüber sein, dass er nur die westlichen Stämme um sich versammelt hat. Wenn Cartimanduas Briganter uns nicht die Treue geschworen hätten, würden wir uns jetzt zwei- oder dreimal so vielen Gegnern gegenübersehen.«
Valerius richtete sich hoch im Sattel auf und blickte nach Norden. Noch immer scheute der hirschhalsige Wallach des Statthalters vor dem Wasser. Valerius räusperte sich einmal und spuckte aus; eine ausschließlich thrakische Angewohnheit mit einer nur für Thraker entschlüsselbaren Bedeutung. »Wenn wir jetzt so lange warten wollen, bis Scapula sein verdammtes Pferd endlich ins Wasser gekriegt hat, dann sitzen wir hier noch den ganzen Tag.«
»Das mag schon sein«, stimmte Longinus ihm zu. »Zumal wir dann am anderen Ufer ohnehin wieder absteigen müssten und ich persönlich lieber auf meinem Pferd bleiben würde.«
»Das können wir auch, solange wir die Furt hier halten können.«
»Dazu müssen wir sie aber erst einmal einnehmen.«
»Ich weiß.«
Neben Valerius stand ein Reiter mit einer weißen Armbinde um sein Kettenhemd bereit. Er war für den heutigen Tag als Melder bestimmt worden und sollte nur im äußersten Notfall an der Schlacht teilnehmen. Valerius wandte sich zu ihm um und sagte: »Überbring Scapula die Nachricht, dass der befehlshabende Präfekt der Ala Prima Thracum der Ansicht ist, dass seine Männer eine Furt über den Fluss schlagen und diese auch halten können, so dass die Legionssoldaten dann in der Lage wären, den Strom flussabwärts von unseren Pferden zu überqueren. Wenn er das Kommando dazu gibt, werden wir es versuchen. Und wenn er noch einige Männer mit Speeren erübrigen kann, um uns Deckung zu geben, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass unser Versuch glückt, sogar noch größer.«
Doch dieses Kommando war vom Gegner schon lange vorausgeahnt worden, und die Träumer des Feindes hatten die ihnen bekannten Männer bereits markiert. Schon zu Beginn des Aufmarsches hatte Valerius sie gespürt: jenen Kitzel der aufeinander treffenden Geister, den
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