Das Schwert der Keltin
bevor sie aufgetreten sind.«
Männer wie Longinus waren ziemlich dünn gesät. Damals am Rhein hatten Valerius und Corvus sich zusammengetan, um solche Männer zu finden, sie auszuwählen und mit ihnen zu trainieren, um sie - zumindest in ihrer eigenen Vorstellung - von der größeren Masse dummer, gedankenloser Brutalität abzuheben, welche die Legion und ihre Hilfstruppen ausmachte.
Als ob er daran dachte, sagte Corvus: »Ich habe gehört, dass du dich zu dem Stiermörder bekannt hast. Dass du jetzt das Zeichen des Raben trägst.«
Es war kein Geheimnis. Jeder kannte die Namen der Initiierten. Was allerdings ein streng gehütetes Geheimnis war, war die Natur der Prüfungen und der Eide, die die Geweihten ablegen mussten; darin lag die größte Macht des Gottes. Für Corvus allerdings bedeutete die Tatsache, dass Valerius diese Eide abgelegt hatte, jedoch viel mehr. Valerius hatte sich diesen Augenblick schon ausgemalt, noch bevor er seine erste Litanei gelernt hatte.
Steif erklärte er: »Ich dachte, dass es der Entwicklung meiner Karriere förderlich sein würde.«
Corvus zog eine Braue hoch. »Das wird es, da bin ich mir ganz sicher.«
Sie warteten. Ein leichter Nordwind wehte durch die Hauptstraße. Irgendwo in der Ferne ertönten gebrüllte Befehle. Offenbar waren inzwischen genügend Männer aufgewacht, so dass auch noch andere die Gefahr durch den Schnee erkannten. Jener Teil von Valerius, der sich wirklich Gedanken um die Zukunft seiner Karriere machte, sah die Dringlichkeit seiner Nachricht schwinden und damit zugleich auch die Hoffnung, Anerkennung dafür zu bekommen, dass er den Alarm ausgelöst hatte.
Corvus fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Dann trat er einen Schritt zurück und hielt die Tür auf. »Möchtest du nicht hereinkommen? Ich habe die Dekurionen benachrichtigt und ihnen aufgetragen, die fünfte und sechste Truppe loszuschicken, um die Dächer der Hauptgebäude der principia vom Schnee zu räumen. Die vierte wird sich um das Dach des Palastes des Statthalters kümmern, obwohl er mit einem Hypokaustum ausgestattet ist und ich stark annehme, dass die Bediensteten des Statthalters die Feuer die ganzen letzten Nächte über in Gang gehalten haben werden, um die Kälte zu verbannen. Es würde mich nicht überraschen, die Fliesen frei von Schnee glänzen und vor Hitze dampfen zu sehen, wenn die Sonne aufgeht.«
»Privilegien, wem Privilegien gebühren«, erwiderte Valerius trocken.
»Genau. Deshalb denke ich auch, dass du den Sohn des Statthalters kennen lernen solltest. Er ist drinnen, und ich habe ihn schon zu lange allein gelassen. Wir hatten gerade über den Aufstand im Westen gesprochen. Willst du dich nicht zu uns setzen?«
VI
Corvus’ morgendlicher Besucher wartete, ganz wie es sich gehörte, in seinem Amtszimmer. Es handelte sich dabei allerdings um einen solch einfachen, kärglich ausgestatteten Raum, dass der Titel Amtszimmer ein bisschen hochtrabend erschien. Die Wände waren schlicht weiß getüncht und ohne jeden Schmuck. Der Verputz war zwar nicht so rau und grob wie der in den Kasernen, und im Gegensatz zu dem chaotischen Durcheinander, wie man es in den Stuben der Legionssoldaten vorfand, herrschte hier peinliche Ordnung; ansonsten jedoch gab es zwischen diesem Raum und jenem, in dem Valerius noch vor Morgengrauen aufgewacht war, so gut wie keinen Unterschied. Dieser hier war größer, das war alles, und an jeder erreichbaren Stelle standen oder hingen Lampen, für den Fall, dass der Präfekt irgendein Schriftstück zu lesen wünschte, während er in der am weitesten entfernten Zimmerecke stand. Abgesehen von den diversen Lichtquellen konnte sich der Raum aber natürlich noch des weiteren Vorzugs rühmen, mit einem Tisch und einem Stuhl möbliert zu sein - jetzt sogar mit zwei Stühlen -, einer davon von einem Mann besetzt, der sich neugierig erhob, als der Präfekt die Tür öffnete.
»Corvus? Wer war... ah, wir haben Besuch bekommen! Von einem Angehörigen der Hilfstruppen. Kann ich erraten, wer das ist?«
»Wahrscheinlich, aber ich werde euch trotzdem miteinander bekannt machen. Valerius, komm rein, steh da nicht in der Tür herum, du wirst nur die Kälte hereinlassen.«
Und so musste Valerius wohl oder übel hineingehen zu dem lächelnden jungen Mann mit dem lackschwarzen Haar und den ausdrucksvollen Rehaugen, der höchstwahrscheinlich genau wusste, wer er, Valerius, war und welche besondere Rolle er einmal in Corvus’ Leben gespielt hatte, und der seine
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