Das Schwert der Keltin
und an seiner Stelle die Sonne tief an dem verwaschenen Himmel über den Bergen hing, hörte auch der Sprühregen auf. Die zerrissenen Wolken über den zerklüfteten Gipfeln schienen geradezu Feuer zu fangen. Ihre Farbe wechselte von safrangelb zu scharlachrot und ging dort, wo am äußersten Rand des Horizonts noch immer die Regenwolken schwebten, schließlich in ein blutiges Purpur über. Als auch die Kavallerie endlich die Festung der Zwanzigsten erreichte - die westliche Basis von Valerius’ Legion - verwandelte sich die oberste Wolkenschicht von lila in ein farbloses Grau.
Diese Festung war kein Nachtlager, das sich die Soldaten aus Grassoden und einigen mitgebrachten Holzsprossen selbst errichtet hatten, und auch kein einfacher Grenzposten, der lediglich so lange zu halten brauchte, wie die Kampfsaison dauerte, sondern sie war eine geradezu uneinnehmbare Burg aus Stein und Holz, erbaut von den gleichen Pionieren, die die ursprüngliche Festung von Camulodunum errichtet hatten.
Genau wie dort auch war hinter den eichenen Palisaden dieser neuen Festung eine recht geschäftige Siedlung entstanden. Zu beiden Seiten der von Osten bis zu dem von steinernen Löwen bewachten Tor der porta praetoria verlaufenden Straße hatten Händler ihre kleinen Hütten aufgereiht, und selbst hinter diesem Mittelpunkt der Festungsanlage und in den Seitengassen standen noch kleine Buden. An den Rändern der Anlage befanden sich die Verschläge für das Vieh und einige umzäunte Pferche, in denen die Tiere der Kaufleute grasten und ihren Unterschlupf fanden. Ganz außen erstreckten sich einige größere Koppeln, in denen die Zuchtkühe und die Zuchtbullen eingepfercht worden waren.
Genau jenen Koppeln näherte sich nun Valerius, und noch ehe er sie sehen konnte, hörte er bereits die Gruppe von Männern, die sich dort über die bröckelige Steinmauer beugte, die das östlichste aller zur Festung gehörenden Felder umgab. Als er näher heranritt, konnte er schließlich auch das rote Haar und den Armschmuck der Gallischen Kavallerie erkennen. Zudem trugen sie alle die gleichen rostbraunen Tuniken, auf deren linken Ärmel der Steinbock und das Auge des Horus gestickt worden waren. Corvus’ Männer, die ganz an der Spitze von Valerius’ Kolonne ritten, waren schon lange angekommen, hatten ihre Pferde versorgt, die neuen Befehle entgegengenommen und waren in einer Parade vor dem Statthalter und dem Legat der Zwanzigsten entlangmarschiert, bis auch sie endlich für den heutigen Tag aus ihrer Pflicht entlassen worden waren. Sie hatten gegessen und getrunken und dann - weil sie am nächsten Morgen nicht in den Kampf reiten mussten -, noch etwas mehr getrunken, bis irgendeiner von ihnen eine Wette aufstellte. Diese Wette war überaus verlockend und versprach vielleicht sogar noch mehr Wein, womöglich auch ein paar kleine Grausamkeiten und eine Frau oder einen Jungen oder ein fügsames Schaf. In jedem Fall waren die Gallier nicht für ihre Mäßigkeit berühmt, geschweige denn für ihre Fähigkeit, sich in betrunkenem Zustand keinen Ärger einzuhandeln.
»Das ist es.« Longinus dirigierte seine kastanienbraune Stute dicht an Valerius’ Pferd heran. Sie scheute ein wenig bei dem Lärm, der von der Koppel herüberschallte, und kaute nervös auf ihrem Zaumzeug. Wie jedes andere der Kavalleriepferde, kannte auch sie den Geruch des Krieges und sehnte sich danach.
»Das Unglück, das du vorausgeahnt hast?«
»Ja. Wir sollten schnurstracks vorbeireiten.«
In der Tat, sie hätten vorüberreiten sollen, und doch wussten beide, dass sie genau das eben nicht tun würden. Valerius hatte bereits das hohe nasale Gejaule von Umbricius’ gehört, jenem Mann, der in der Zeit, als sie beide unter Corvus in der Gallischen Kavallerie gedient hatten, Regimentsschreiber gewesen war. Umbricius hasste seinen ehemaligen Quartiergenossen genauso, wie auch Valerius ihn verabscheute. Außerdem hatte seit der Schlacht gegen die Eceni eine schwere Verbitterung von dem Mann Besitz ergriffen: Er nahm es sich selbst und Valerius irgendwie übel, dass sie beide überlebt hatten, während die Mehrheit ihrer Truppe damals den Tod gefunden hatte. Zudem hatte Umbricius dann noch beobachten müssen, wie Valerius in den Reihen der Thrakischen Kavallerie immer höher aufgestiegen war, während er selbst Regimentsschreiber blieb. Auch war es Umbricius gewesen, der während ihrer Exerzierübungen die Schildkante gegen Longinus’ Kehle gerammt hatte. Dies war ebenso ein
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