Das Schwert der Vorsehung
Vielleicht erschaffen sie sie? Aber wovon könnten die Legenden der Menschen handeln? Ringsum, wohin man schaut, ist alles grau und gesichtslos. Sogar was schön anfängt, mündet bald ins Langweilige und Gewöhnliche, in jenes Menschenritual, jenen eintönigen Rhythmus, den man das Leben nennt. Ach, Geralt, es ist nicht leicht, eine Zauberin zu sein, aber verglichen mit der gewöhnlichen menschlichen Existenz ... Geralt?« Sie legte den Kopf auf seine Brust, die sich langsam atmend bewegte.
»Schlaf«, flüsterte sie. »Schlaf, Hexer.«
III
Die Stadt wirkte schlecht auf ihn.
Vom frühen Morgen an. Vom frühen Morgen an verdarb ihm alles die Laune, versetzte ihn in Depression und Wut. Alles. Ihn ärgerte, dass er verschlafen hatte, wodurch aus dem frühen Morgen praktisch früher Mittag geworden war. Ihn irritierte die Abwesenheit Yennefers, die gegangen war, ehe er erwachte.
Sie musste es eilig gehabt haben, denn die Utensilien, die sie für gewöhnlich ordentlich in Schachteln packte, lagen wirr auf dem Tisch verstreut wie Knöchelchen, die man zu einem Wahrsageritual hingeworfen hat. Die Pinsel aus feinem Haar – die großen, die zum Pudern des Gesichts dienten, die kleineren, mit denen sie sich die Lippen schminkte, und die ganz kleinen für das Henna, mit dem sie die Wimpern färbte. Die Kreidestückchen und Stifte für Wangen und Lider. Kleine Pinzetten und Löffelchen von Silber. Phiolen und Fläschchen aus Porzellan und Milchglas, die, wie er wusste, Elixiere und Salben mit so banalen Bestandteilen wie Ruß, Gänsefett und Mohrrübensaft enthielten und mit so schrecklich geheimnisvollen wie Mandragora, Antimon, Belladonna, Cannabis, Drachenblut und konzentriertem Gift von Riesenskorpionen. Und über alledem, ringsum in der Luft, der Geruch von Flieder und Stachelbeeren, der Duftstoff, den sie immer benutzte.
Sie war in diesen Dingen gegenwärtig. Sie war in diesem Duft gegenwärtig.
Doch sie selbst war nicht da.
Er ging hinunter und fühlte dabei, wie die Unruhe wuchs und die Wut in ihm aufstieg. Auf alles.
Ihn ärgerte das kalte und erstarrte Rührei, das ihm der Wirt zum Frühstück servierte, nachdem er sich kurz von dem Mädchen losgerissen hatte, das er im Hintergrund befingerte. Ihn ärgerte, dass das Mädchen höchstens zwölf Jahre alt war. Und weinte.
Er spürte noch immer schwach den Gestank des Abfallhaufens in der Kleidung und in den Haaren. Er beschloss, ins Bad zu gehen.
Im Bad störte ihn die Miene des Baders, wie der sein Hexermedaillon betrachtete, das auf den Rand des Zubers gelegte Schwert. Ihn störte der Umstand, dass ihm der Bader keine Dirne anbot. Er hatte nicht vor, eine zu nehmen, aber im Bad wurde jedem eine angeboten, so dass ihn die Ausnahme ärgerte, die mit ihm gemacht wurde.
Als er wieder ging, stark nach grauer Seife riechend, hatte sich seine Laune nicht gebessert, und Aedd Gynvael war kein bisschen schöner geworden. Es war immer noch nichts, was einem gefallen konnte. Dem Hexer gefielen die beliebig hingeworfenen Müllhaufen nicht, die in den Seitengassen den Weg versperrten. Ihm gefielen die Bettler nicht, die an den Mauern des Tempels herumlungerten. Ihm gefiel die krakelige Aufschrift auf der Wand nicht, die lautete: ELFEN INS RESERVAT!
Ins Schloss ließ man ihn nicht, er wurde zum Vorsteher der Kaufmannsgilde geschickt. Das ärgerte ihn. Ihn ärgerte auch, dass der Zunftälteste, ein Elf, ihn hieß, den Vorsteher auf dem Markt zu suchen, und ihn dabei mit einem Abscheu und Hochmut ansah, der verwunderlich war bei jemandem, der gleich ins Reservat gesperrt werden sollte.
Auf dem Markt wimmelte es von Menschen, es gab reichlich Stände, Wagen, Pferde, Ochsen und Fliegen. Etwas erhöht stand der Pranger mit dem Delinquenten, der vom Pöbel mit Dreck und Kot beworfen wurde. Der Delinquent beschimpfte mit bewundernswerter Selbstbeherrschung und obszönen Ausdrücken seine Peiniger, ohne sonderlich die Stimme zu heben.
Dem recht weltgewandten Geralt war völlig klar, zu welchem Zweck der Vorsteher sich inmitten dieses Spektakels aufhielt. Die auswärtigen Kaufleute von den Karawanen hatten in den Preisen Schmiergelder einkalkuliert, also mussten sie diese Schmiergelder jemandem aushändigen. Der Vorsteher, ebenfalls mit den Bräuchen vertraut, war zur Stelle, damit sich die Kaufleute keine besondere Mühe zu machen brauchten.
Die Stelle, wo er seines Amtes waltete, wurde von einem schmutzigblauen, auf Bohnenstangen gespannten Baldachin bezeichnet. Dort
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