Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
Handelsmittelpunkt entwickelte.
Zumindest lernten wir das im Geschichtsunterricht. Natürlich erwähnten die Lehrer nicht, dass Zwangsarbeiter aus Fetschinien diese Straßen gebaut hatten und nach getaner Arbeit von einer seltsamen Krankheit hinweggerafft
wurden – einer Krankheit, die verdächtig nach Schwerthieben aussah. Dieses Gemetzel wurde stillschweigend unter den Teppich gekehrt. Und als Hubert III. vor zweihundert Jahren den Thron bestieg, wurde jede Andeutung dieser Ereignisse aus allen Geschichtsbüchern getilgt. Nur der Sorgfalt der Kopisten war es zu verdanken, dass die Erinnerung daran in den Geheimarchiven ihrer Vereinigung erhalten blieb.
Es war ein wunderbarer Frühlingstag, alles unter dem weiten blauen Himmel schien in voller Blüte zu stehen. Jeder, an dem wir vorbeikamen, ob Bauer, Händler oder Soldat, winkte uns oder rief uns ein paar freundliche Worte zu. Die Kinder lachten, die Hunde bellten, die Vögel zwitscherten – und meine Stimmung sank immer mehr auf einen Tiefpunkt.
Plötzlich fiel mir auf, dass die Straße unter uns nicht zu den ursprünglichen »Hubert-Straßen« gehörte, sondern offensichtlich neu war, denn sie war mit Steinen anderer Färbung gepflastert. »He, warte mal kurz«, sagte ich. »Ist die Straße hier früher nicht nach rechts abgebogen und hat um die alten Ländereien von Baron Hogenson herumgeführt?«
»Mittlerweile sind viele neue Straßen entstanden«, erwiderte Anders. »Der König hat die Wegerechte für Straßen erworben, die einige der großen Ländereien durchschneiden. Die Verkürzung der Reisezeit hat dem Handel großen Aufschwung verliehen.«
»Aha.« Das erklärte zwar den lebhaften Verkehr, allerdings nicht, wie der König es geschafft hatte, die jeweiligen Landbesitzer zu beschwatzen, auf ihre Landrechte zu verzichten. Dem Adel von Arentia sagte man nicht gerade
Uneigennützigkeit nach, und der alte Baron Hogenson hatte als besonders selbstsüchtig gegolten.
Während unseres Ritts erfuhr ich, dass dieser junge Sir Michael der älteste Sohn und Namensvetter eines Heeresgenerals war, der sich seinen Rang durch harten Dienst verdient hatte. Er hatte die westliche Grenze zwischen Arentia und San Travis geschützt. Michael hatte die Kadettenanstalt absolviert und war danach als Offizier ins Berufsheer eingetreten. Doch da Arentia mit keinem anderen Land Krieg führte und niemals etwas passierte, empfand er seinen Dienst als sterbenslangweilig, deshalb hatte er sich auf Vorschlag eines Vorgesetzten für Sondereinsätze beworben. Allein das Prüfverfahren hatte drei Monate gedauert. Dazu gehörte auch, dass man ihn vor der Küste Romerias von einem Schiff nackt ins Meer warf, mit dem Auftrag, ein bestimmtes Schmuckstück aus dem Haus eines Edelmanns zu stehlen und damit zu einem festgesetzten Tag nach Arentia zurückzukehren. Es war ihm gelungen, indem er die kleine Tochter der Spülmamsell davon überzeugt hatte, dass er ein echter Wassermann war. Sie hatte ihn so lange versteckt, dass er sich den Grundriss des Hauses hatte einprägen können. Nicht nur hatte er das Schmuckstück an sich gebracht, sondern mittels geschmolzenen Zuckers auch einen Abdruck davon hergestellt und es nachgebildet, damit der Diebstahl nicht so schnell aufflog. Drei Tage vor dem festgesetzten Zeitpunkt war er in Arentia eingetroffen. Darauf schien er sehr stolz zu sein, und wenn das alles wirklich zutraf, hatte er ja auch Grund dazu. Ich war ein paarmal in Romeria gewesen. Es war ein kaltes, verwahrlostes, gesetzloses Land, in dem Fremde nicht willkommen
waren und Dieben üblicherweise das Augenlicht genommen wurde.
Anders hatte zwei jüngere Brüder, die ebenfalls die Kadettenanstalt besuchten, außerdem eine Schwester, die noch zu Hause wohnte. Wegen der Besonderheiten seiner Aufträge nahmen seine Brüder an, er sei unehrenhaft aus dem Heeresdienst entlassen worden und arbeite jetzt als eine Art Verbindungsmann für Kaufleute, die dem Heer Waren lieferten. Sobald sie selbst einen höheren Rang im Heer einnahmen, wollte er ihnen die Wahrheit offenbaren – diesem Tag sah er jetzt schon mit hämischem Vergnügen entgegen. »Besonders Cornell macht mir gern die Hölle heiß, wenn wir uns zu den Feiertagen bei den Eltern treffen«, erklärte er und lachte in sich hinein. »Ich kann es gar nicht abwarten, ihm zu erzählen, wie ich da draußen Aschtanas Schiffswerften sabotiert habe, während er lernte, sich auf Kommando linksum zu drehen.«
»Und wieso vertraust du mir das
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