Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
»Hast du in deinem Innern irgendeine spirituelle Ader, LaCrosse?«
»Für so was bin ich in der Regel zu beschäftigt.«
»In dieser Welt werden viele Götter und Göttinnen verehrt. Die meisten haben allerdings kein größeres Gewicht als die Ikonen, mit denen sie dargestellt sind. Das größte Geschenk, das eine wirkliche Göttin denen geben kann, die an sie glauben, ist die Realität ihrer Gegenwart. Deshalb hat sich Epona dafür entschieden, eine von uns zu werden – eine Frau aus Fleisch und Blut. Und wie wir alle ist sie der Vergänglichkeit des Körpers ausgesetzt, den sie bewohnt.«
»Klingt ein bisschen nach einem Winkelzug. Sie kann nicht viel von einer Göttin an sich haben, wenn du Ausflüchte für sie suchen musst.«
Wieder dieses nachsichtige Lächeln! »Ihre Barmherzigkeit und ihre Weisheit sind die wahren Zeichen ihrer Göttlichkeit. Der Tod wird sie nicht von uns trennen. Und die Zeit, die sie unter uns verbracht hat, wird bei uns zur Legende oder zum Mythos werden – zu einer Geschichte, die unsere Herzen miteinander und mit ihr verbindet.«
»Du musst doch selbst merken, wie das klingt!«
Sie zuckte die Achseln. »Lieber glaube ich an irgendwas als an gar nichts. Doch bei dir ist das offenbar umgekehrt.«
Da hatte sie mich am Wickel. Umschlungen von der Nacht gingen wir schweigend weiter. Die Tatsache, dass Epona von Janette wusste, überzeugte mich keineswegs
von ihrer Göttlichkeit. Schließlich verbreitete sich der Klatsch über den Tod einer Prinzessin nicht selten in aller Welt. Ich hatte schon allzu viele höchst unwahrscheinliche Dinge gesehen und erlebt, deshalb konnte ich Eponas göttliche Einsichten nicht einfach als gegeben hinnehmen. Sicher würde ich am Ende dieses Wegs auf irgendeine halb verrückte Weise stoßen, und sicher würde sie einen großen Auftritt hinlegen. Und trotzdem wäre es mir fast lieber gewesen, hätte ich Nicole glauben können. Der Anblick einer leibhaftigen Göttin, du meine Güte! Vielleicht würde so was mir sogar viel von meinem Zynismus nehmen.
Hinter einer Biegung mussten wir feststellen, dass dasselbe große weiße Pferd, das die Herde beim Ansturm auf das kleine Mädchen mit den Schleifen angeführt hatte, uns den Weg blockierte. Seinerzeit hatte ich es für einen Hengst gehalten, doch aus der Nähe sah ich, dass es eine Stute war, die mich mit ihren dunklen, unergründlichen Augen ansah. Dabei fiel mir das Gebet der rothaarigen Apfel-Eva wieder ein: »Ich rufe dich an, Pferd Eponas mit der weißen Mähne, und bitte dich, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen möge.«
Das Pferd ließ zu, dass Nicole ihm sanft die Wange tätschelte. Sie flüsterte ihm dabei etwas zu, das ich leider nicht verstehen konnte. Danach wandte es den großen weißen Kopf mir zu und fixierte mich erneut. Als die Stute mich so eingehend musterte, brach mir am ganzen Körper der Schweiß aus. Schließlich wusste ich, was diese Hufe, wenn sie ausschlugen, anzurichten vermochten. Dennoch zwang ich mich dazu, ruhig zu atmen, als sie lässig zwei Schritte näher kam und erst eine Handbreit vor meinem
Gesicht haltmachte. Sie schnaubte so, als wollte sie mir eine Frage stellen.
Während wir einander in die Augen sahen, schien die Zeit stillzustehen. Mal abgesehen vom üblichen Hochmut der Pferde lag wirkliche Intelligenz in ihrem Blick. Und Zielgewissheit, die – wie ich damals dachte – leicht in Gewalttätigkeit umschlagen konnte. Als die Stute ihr Gewicht verlagerte, lief eine Welle durch ihre massigen Flanken. Sie strahlte etwas Majestätisches aus, und ich fragte mich, wie diese Epona sich erdreisten konnte, sich als »Königin der Pferde« zu bezeichnen, solange dieses prachtvolle Tier irgendwo in der Nähe war.
Tatsächlich schien das Pferd zu nicken, als wäre es meinen Gedankengängen gefolgt. Danach machte es kehrt und schritt uns mit ungeheurer Würde voran. Als es um eine Biegung des Pfads verschwand, merkte ich, dass ich bis jetzt den Atem angehalten hatte. Ich atmete laut aus und hätte mich am liebsten an Ort und Stelle auf den Boden gesetzt.
Nicole legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ziemlich beeindruckend, wie?«
»Ziemlich nervenaufreibend«, gab ich zurück und hoffte, dass ihr nicht auffiel, wie stark meine Hände zitterten. »Ich für mein Teil würde den Wald jetzt gern verlassen, vielen Dank auch.«
»Dann geh einfach auf dem Pfad weiter, bis du zu einer Lichtung kommst. Du kannst Epona gar nicht verfehlen.«
»Und was ist mit dir? Wohin
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