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Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert des Königs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Bledsoe
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irgendein Tier, größer als ein Wolf oder Hirsch, durch das Gebüsch brach. Ich konnte nur den Umriss erkennen, aber mir fiel auf, dass es sich fast lautlos durch den Wald bewegte. Plötzlich sah ich, wie ein ähnlicher Schatten quer durch das Gestrüpp huschte, und das wunderte mich, denn eigentlich hätte hier jedes Tier, das größer als ein Waschbär war, stolpern müssen. Bald darauf wurde mir klar, dass wir ringsum von großen stillen Kreaturen umgeben waren, die uns auf unserem Weg begleiteten. Gerade wollte ich Nicole fragen, was das für Tiere seien, als eines davon laut und unverkennbar wieherte.
    »Sieht so aus, als hättet ihr Pferde in eurem Wald«, sagte ich.
    Nicole lachte. »Du sagst das so, als wären es Kakerlaken oder Ratten.«
    Ich zuckte die Achseln. »Wenn du so willst.«
    »Magst du Pferde nicht?«
    Als ein großes Pferd stehen blieb, um uns zu beobachten, spiegelte sich das Mondlicht in seinen Augen und ließ sie glänzen. »Im Allgemeinen nicht.«
    Sie nickte. »Ja, all diese Stärke, diese Anmut und schnelle Fortbewegung – das kann schon einschüchternd wirken, nehme ich an.«
    »Ich hab mal gesehen, wie ein Pferd ausgeschlagen und einem Kerl den Kiefer zertrümmert hat. Das war tatsächlich einschüchternd.«
    »Und hatte er es verdient?«
    »Möglich. Mir ist es allerdings lieber, wenn meine
Arbeitstiere sich keine moralischen Urteile dieser Art erlauben.«
    »Genau das ist dein Problem. Ein Pferd ist von Natur aus nämlich kein ›Arbeitstier‹.«
    »Was ist es dann?«
    »Ein uns gleichgestelltes Lebewesen. Ein Freund. Ein Sinnbild der Göttin.«
    Ich lächelte. »Tja, ihr Mädels seid immer ganz verrückt nach Pferden, stimmt’s? Ich hab noch nie ein Mädchen gekannt, das nicht von Pferden besessen war. Aber das legt sich meistens, wenn die Mädels die Jungs entdecken.«
    Ich hatte das scherzhaft gemeint, doch Nicole lachte nicht, sondern ging still und gedankenverloren neben mir her. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte sie schließlich. »Irgendetwas an Pferden spricht bei halbwüchsigen Mädchen die weibliche Seele an. Das hast du gut beobachtet.«
    »Eigentlich sollte das eher ein Witz sein.«
    »Ist mir klar, aber du könntest trotzdem richtigliegen. Zweifellos sind Erregung und Erotik im Spiel, wenn ein junges Mädchen die Beine um einen Pferderücken schlingt. Und später ersetzt der Geschlechtsverkehr diese Art von Erotik. Sobald wir beginnen, mit Männern zu schlafen, verliert sich dieser erste Ansturm unkeuscher Gefühle, den Pferde bei uns auslösen.« Sie dachte kurz nach. »Der Liebesakt spiegelt den Schöpfungsakt wider. Vielleicht ähnelt bei uns Frauen der Ansturm der Gefühle, den wir vor der ersten Erfahrung körperlicher Liebe erleben, noch am ehesten dem Rausch, der uns bei der Begegnung mit der Göttin überwältigt. Vielleicht können wir in diesem frühen Lebensabschnitt am besten, wenn
auch nicht vollständig, erfassen, was das Wesen der Göttin ausmacht. Denn eine Göttin ist beides in einem: Jungfrau und Hure. Und selbst wenn die Jungfrau die Oberhand hat, ist sie sich ihrer Macht bewusst, eben deswegen, weil sie auch Hure ist. Möglich, dass heranwachsende Mädchen genau das Gleiche empfinden.«
    »Und all das hast du aus einem schlechten Witz abgeleitet?«
    Sie lachte. »Als Eponas ›Mädchen für alles‹ verbringe ich viel Zeit damit, ihr Denken nachzuvollziehen und mich darin zu üben. Und ich weiß, dass sie Pferde als ihre heiligen Symbole und Stellvertreter in dieser Welt betrachtet, deshalb tue ich das wohl auch.«
    Ich sah weitere Pferde durch den Wald huschen, so flink und anmutig, als könnte ihnen das unwegsame Terrain nichts anhaben. Waren sie überhaupt von dieser Welt?
    »Und deshalb gibt man allen Dorfkindern an ihrem fünften Geburtstag die Chance, sich von diesen heiligen Pferden zu Tode trampeln zu lassen?«, fragte ich ironisch.
    »Nein, nicht allen Kindern, nur den Töchtern«, erwiderte Nicole ernsthaft. »Das ist ein Vorgeschmack auf die Nähe des Todes, bevor sie so alt sind, dass sie Leben spenden können.«
    »Und bekommen einige auch mehr als einen Vorgeschmack vom Tod?«
    »Ja«, sagte sie traurig. »Das verleiht dem Ritual ja erst den Wert. Manche Töchter verlieren wir dabei, aber die meisten überleben. Epona ist keine grausame Göttin.«
    »Du hast gesagt, sie sei eine Göttin, die im Sterben liegt .«
    Nicole blieb stehen, um mich anzusehen. Da ihre Augen im Schatten lagen, konnte ich nicht in ihrem Gesicht lesen.

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