Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
einen Augenblick nach. »Damals war der große Giovanni Vincenzo in der Gegend, mal abgesehen von den Soberlin-Brüdern. Und Kee Kee Vantassel war gerade auf dem aufsteigenden Ast. Ansonsten hätte sich niemand einen solchen Kämpfer leisten können.«
»Ist einer dieser Leute missgestaltet?«
Saye runzelte verblüfft die Stirn. »Missgestaltet? Wie meinst du das?«
Ich überlegte, wie ich Eponas Worte so umformulieren konnte, dass sie nicht völlig verrückt klangen. »Seine
Arme und Beine sind irgendwie … verkürzt, haben sich in den Körper hineingeschoben. Also muss er ziemlich kleinwüchsig sein und kann sich vermutlich nur mit Mühe fortbewegen.«
»Du meine Güte«, murmelte Berni in einem Tonfall, als erwartete er jetzt eine ermüdend lange Geschichte. Doch gleich darauf rief Saye: »Meinst du etwa den Zwerg ?«
»Wer ist der Zwerg?« Ich blickte von einem zum anderen.
Ehe Saye etwas erwidern konnte, sagte Berni voller Abscheu: »Angeblich ist das der Kerl, der diese ganze kriminelle Unterwelt im Hafenviertel von Kap Querna beherrscht. Nur hat ihn noch niemand mit eigenen Augen gesehen. Man hat es immer nur mit Leuten zu tun, die Freunde oder alte Bekannte von ihm sind. Oder auch deren Brüder. Schon seit meiner Kindheit wird über ihn geklatscht. Man nennt ihn hier den ›Großen Kleinen‹.«
»Also gibt es ihn gar nicht?«
»Meiner Meinung nach hat ihn irgendjemand erfunden, damit wir unsere Zeit damit verplempern, nach ihm zu suchen, statt die wirklichen Verbrecher zu jagen.« Berni schaute Saye an, als erwartete er Widerspruch.
»Früher hab ich das auch geglaubt«, erwiderte Saye vorsichtig. »Aber im Laufe der Jahre hab ich noch mal gründlich darüber nachgedacht. Ich will euch ja nicht mit Lokalpolitik langweilen, aber eines ist auffällig: Jedes Mal, wenn irgendjemand Anstalten macht, mit dem verbrecherischen Pack im Hafenviertel aufzuräumen, stößt ihm irgendwas zu. Sei es, dass man ihn zusammenschlägt, er zum richtigen Zeitpunkt einen ›Unfall‹ hat oder bei ihm zu Hause ohne ersichtlichen Grund ein Feuer ausbricht.
Jedes Mal werden die Gegner dieses Gesindels auf andere Art aus dem Verkehr gezogen, aber immer genau dann, wenn der Sumpf im Hafengebiet trockengelegt werden soll. Und mit den Jahren kann man ein Muster darin erkennen.«
»Du erkennst darin ein Muster«, warf Berni ein. »Es gibt aber jede Menge Leute, die sich in diesem Sumpf suhlen, ohne sich dabei auf einen Anführer in Gestalt eines unsichtbaren Zwergs zu stützen.«
Saye zuckte die Achseln. »Möglich, dass du recht hast. Denn diese Geschichten geistern hier schon so lange herum, dass dieser Zwerg mittlerweile steinalt sein müsste. Nur fällt mir niemand ein, auf den die Beschreibung sonst passen könnte. Weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit.«
»Tja, die Spur ist leider ziemlich kalt«, sagte ich. »Trotzdem danke für deine Hilfe.«
»Gern geschehen.«
Beide hatten das Hafenviertel erwähnt. Und Andras Reese war früher zur See gefahren. Doch wie sollte mir eine so weit hergeholte Verbindung nützen? »Also mischen bei euch im Hafenviertel viele Banden mit?«, fragte ich, nachdem Saye gegangen war.
»Nur die üblichen. Es geht um Mädchen, Drogen, geschmuggelten Schnaps und solche Dinge. Und um Glücksspiel, falls man die richtigen Leute kennt.«
Glücksspiel? Manche Menschen wetteten auf Pferde. Und Epona war die Königin der Pferde gewesen. Stellte auch das eine Verbindung zu ihrem Gegner dar? Alles und jedes konnte ein Hinweis sein, verdammt noch mal. Und deshalb fragte ich so beiläufig, als ginge es um die
unwichtigste Sache der Welt: »Mischen diese Leute auch bei Wettgeschäften mit, die Pferderennen betreffen?«
Ob in Kap Querna oder sonst wo: Kurz vor Pferderennen versammelten sich an der Rennstrecke die schlimmsten Jammergestalten, die man sich vorstellen kann. Abends tauchte der Schein unzähliger Fackeln die Bahnen in wunderbares Licht, doch tagsüber offenbarte die gnadenlose Sonne, was die Dunkelheit barmherzig verbarg: den geballten, mit Rennen verbundenen Mist – und ich meine nicht nur den der Pferde.
Auch die Trunksucht hat ihre Opfer fest im Griff, nur macht sich ein Trunkenbold nicht vor, dass er nach der nächsten Flasche für sein ganzes Leben ausgesorgt hat. Glücksspieler dagegen – zumindest diejenigen, die nie Gewinne einheimsen und trotzdem weitermachen – glauben fest daran, dass sich ihr Leben beim nächsten Würfelwurf, Kartenblatt oder Pferderennen
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