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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wahres Wunder. Aber auch ich brauche so dringend Wasser, daß ich jetzt nicht die Muße habe, lange darüber nachzudenken. Du sagst, du habest getrunken, und wie du es sagst, verrät mir zumindest, daß du mir freundlich gesinnt bist. Beweise es mir, bitte. Ich habe schon lange nichts mehr gegessen und getrunken.«
    Der Kopf, der gesprochen hatte, lächelte. »Du verstehst es wunderbar, mit allem konform zu gehen, was immer ich auch vorhabe – du bist wirklich der Geeignete, selbst deine Kleidung ist passend; wie köstlich. Ich wollte soeben vorschlagen, daß wir dorthin gehen, wo es Speise und Trank im Überfluß gibt. Folge mir!«
    Damals wäre ich, glaube ich, wohl jedem gefolgt, der mir irgendwo Wasser versprochen hätte. Inzwischen habe ich mir einzureden versucht, ich sei entweder aus Neugier mitgegangen, oder weil ich das Geheimnis der großen Kataphrakte zu lüften hoffte; aber wenn ich mir nun diese Zeit ins Gedächtnis zurückrufe und sie danach durchforsche, finde ich nichts anderes als Verzweiflung und Durst. Der Wasserfall über Casdoes Haus wob vor meinen Augen sein silberglänzendes Gespinst, und durch den Kopf gingen mir der Vatis-Brunnen des Hauses Absolut und die vom Bergkamm zu Thrax stürzenden Wasser, als ich zum Fluten der Vincula das Schleusentor öffnete.
    Der zweiköpfige Mann schritt vor mir einher, als wäre er voller Zuversicht, daß ich ihm folgte, und gleichfalls zuversichtlich, daß ich ihn nicht angriffe. Als wir eine Ecke umrundeten, erkannte ich zum ersten Mal, daß ich mich nicht, wie angenommen, in einer der strahlenförmig zum Kuppelbau verlaufenden Straßen befand. Der Bau stand unmittelbar vor uns. Eine Tür – obschon nicht dieselbe, durch die der kleine Severian und ich eingetreten waren – war wie zuvor offen, und wir gingen hinein.
    »Hier«, sagte der sprechende Kopf. »Steig ein!«
    Das Gefährt, auf das er deutete, glich einem Boot und war wie das Seerosenboot im Garten des Autarchen überall gepolstert; dennoch schwamm es nicht auf Wasser, sondern schwebte in der Luft. Als ich das Dollbord berührte, schaukelte und wippte das Boot unter meiner Hand, wenn auch so wenig, daß es fürs Auge fast unsichtbar blieb. Ich sagte: »Das ist wohl ein Flieger. Hab’ noch nie einen von so nah gesehn.«
    »Wäre ein Flieger eine Schwalbe, wär’ das hier ein – was soll ich sagen? – Sperling. Oder ein Heuschreck oder ein Federball, wie Kinder ihn mit dem Schläger zwischen sich hin und her hüpfen lassen. Aus Anstandsgründen muß ich, fürcht’ ich, darauf bestehen, daß du als erster einsteigst. Ich versichere dir, es droht keine Gefahr.«
    Dennoch zauderte ich. Dieses Gefährt hatte zunächst etwas so Geheimnisvolles an sich, daß ich mich nicht überwinden konnte, den Fuß in es zu setzen. Ich sagte: »Ich komme aus Nessus, vom Ostufer des Gyolls, und dort wurde mir beigebracht, daß bei jedem Fahrzeug der Ehrengast immer als letzter ein- und als erster aussteige.«
    »Genau«, entgegnete der sprechende Kopf, und ehe ich merkte, was mir geschah, hatte mich der zweiköpfige Mann an der Hüfte gepackt und so mühelos ins Boot gehoben, wie wenn ich den Knaben gehoben hätte. Es schaukelte unter meinem Gewicht und geriet ordentlich ins Wanken, als im nächsten Augenblick der zweiköpfige Mann aufsprang. »Du hast doch hoffentlich nicht geglaubt, der Vorrang gebühre dir?«
    Er flüsterte irgend etwas, und das Schiff setzte sich in Bewegung. Zuerst glitt es langsam vorwärts, gewann aber rasch an Geschwindigkeit.
    »Wahre Höflichkeit«, fuhr er fort, »verdient diesen Namen. Höflichkeit ist Aufrichtigkeit. Wenn der Plebejer vor dem Monarchen kniet, bietet er seinen Nacken dar. Er bietet ihn dar, weil er weiß, sein Herrscher kann ihn sich nehmen, wenn er will. Diese gemeinen Leute sagen – oder sagten vielmehr in früheren, besseren Zeiten –, daß ich keine Wahrheisliebe hätte. Aber in Wahrheit liebe ich vor allem die Wahrheit, das offene Eingeständnis von Gegebenheiten.«
    Die ganze Zeit über lagen wir der Länge nach ausgestreckt im Boot, so daß nicht einmal eine Handbreit Platz zwischen uns blieb. Der schwachsinnige Kopf, den der andere Piaton genannt hatte, stierte mich glotzäugig an und bewegte den Mund, aber es kam nur ein wirres Gestotter über seine Lippen.
    Ich wollte mich aufsetzen. Der zweiköpfige Mann packte mich mit eiserner Hand und zerrte mich wieder hinunter, indessen er erklärte: »Ist gefährlich. Diese Dinger sind zum Liegen gedacht. Du möchtest

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