Das Schwert des Ostens: Krimi (German Edition)
verstehen sollte, oder ob sie jetzt einfach schlafen wollte.
Plötzlich hörte ich sie leise schluchzen. Sie verlor sich in einer Welt aus Schmerz und Verdruss, aus tiefer, vollkommener Kränkung. Rott, der Ehemann, hatte ihr das Genick gebrochen. Nicht Rott, der Politiker, und auch nicht Rott, der Wursthändler, der immer weniger von seinen Schweinswürsten verkaufte und daher von einem Trafikanten inspiriert zum Führer einer Volksfront Türkenbelagerung – nein danke! aufgestiegen war.
Der Mann, den sie geheiratet hatte und von dem sie irgendwann mal erfahren musste, dass er schwul war, hatte sie aus der Bahn geworfen, und sie wollte jetzt, dass ich das auch wusste:
„Ich hatte mir immer einen guten Ehemann gewünscht. Aber mein Mann war kein guter Ehemann.“
Ich tat mir immer recht schwer, aus solchen Gesprächen auszusteigen, also fragte ich hilflos: „War er denn wenigstens ein guter Fleischhauer?“
Sie sagte: „Er liebte seine Würste!“
Ihr Gesicht zeigte Ekel, also fragte ich: „Sie selbst essen wohl keine Würste, was?“
„Nein. Ich esse lieber Fischstäbchen.“
Ich war ehrlich entsetzt: „Ja wissen Sie denn nicht, was in solchen Fischstäbchen alles drinnen ist?“
Aber sie konterte geschickt: „Wissen Sie denn, was in seinen Würsten alles drinnen war?“
Es war verdammt noch mal wirklich Zeit zu gehen.
* * *
Auf dem Parkplatz der Reha-Klinik suchte ich für den Toyota ein hübsches Plätzchen, stieg aus und schaute mir kurz den Tatort an. Ein paar Lichtlein waren aufgestellt; dazu ein Foto von Rott in seiner Schlachterschürze vor einem aufgehängten Schwein, auf das einer „Türke“ geschrieben hatte; ein paar Titelseiten der Gosse mit Rott als Helden des Abwehrkampfes; nur zwei Blumen. Die alten Mütter waren ihm als Kundschaft weggebrochen, weil sie das Zweiter-Weltkrieg-Spar-Gen hatten und zu wenig Pension kriegten, um sich bei ihm einzudecken. Die 90-jährigen Kämpfer wiederum, die den Krieg noch erlebt hatten und ihre Schweinewurst vor Stalingrad aus der Dose aßen, trug man nach und nach aus ihren Substandardwohnungen hinaus, und aus Anatolien kamen genug Ziegenhirten nach, die darin wohnen wollten, aber lieber Hammel aßen. Und wenn sie nicht schnell genug waren, dann legten die Neureichen ein paar kleine Wohnungen zusammen und machten einen großen Neureichentraum daraus. Aber die aßen dann lieber Fisch!
Das war im Wesentlichen die demografische Lage, also standen jetzt nur ein paar seiner eisernen Fans betropezt herum, die meisten im schlichten Unterhemd des einfachen Volkes, allesamt schwitzend und Freunde der ungesunden Ernährung. Ich sagte: „Versucht’s doch mal mit Sauerkrautsuppe!“
Menschen können so ekelhaft sein.
Ich ließ diese Schweine hinter mir, überquerte den Parkplatz und durchschritt das Innere der Schlagobersbude, bald stand ich wie gestern im Gastgarten. Mein Plan war, die letzten Stunden von Rott zu rekonstruieren. Also zwängte ich mich durch die Hecke hinüber zum Gelände der Reha-Klinik, durch die Rott gestern herüber zur Aussichtsterrasse gekommen war, um Hildchen zu treffen. Das brachte mir ein paar Schrammen und Stiche ein, aber keinen großen Erkenntnisgewinn. Die Hecke war eine sinnlose Barriere, mehr Zierde als Hürde.
Auch die Klinik hatte einen schönen Garten zum Lustwandeln, aber hier lustwandelte niemand. Die Leute kamen scharenweise aus dem Gebäude heraus und steuerten wie Zombies die Hecke an, angezogen vom süßen Duft des Zuckers. Es war kurz nach Mittag, Essenszeit.
Über quietschendes Linoleum durchquerte ich schließlich die Klinik nach vorne Richtung Haupteingang, vorbei an niedlichen kleinen Krankenschwestern in gesunden Schuhen, die mich allesamt freundlich anschauten, und ich schaute gerne und freundlich zurück. Die da und die und die würden ohne Zweifel meine Nähe begrüßen, und die und die und die dort auch. Da ich kein Geld hatte und keine anderen Vermögenswerte, musste es an meiner Ausstrahlung und meinem guten Aussehen liegen.
Oder war ich hier einfach der Jüngste?
Ich stiefelte zu einer von denen hinüber und fragte probehalber: „Schwester, mein Nacken spannt, haben Sie heute Abend schon was vor?“ Aber sie lächelte mich nur freundlich an, wie es diese Asiatinnen von klein auf gelernt haben, und wackelte mit dem Kopf. Ein Problem der modernen Medizin ist ja, dass sie uns zwar alle immer weiter durchschleppt, wir dann aber keine Einheimischen finden, die uns Hinfälligen und Siechen auch
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