Das Schwert des Sehers
hätte eine Gruppe von Heilern und ein Apotheker es zusammenrühren können, ohne zu bemerken, was sie da taten?
»So einfach war das nicht«, sagte Havad. »Und es ging auch nicht so schnell. Es war ein schwieriges Rezept, und die Substanzen waren schwer zu beschaffen, und sie waren teuer. Zudem, wie Ihr gesagt habt: Die Kirche billigt keine Alchemie. Also konnten wir nicht einfach zu einem Alchemisten gehen und uns das Mittel mischen lassen.
Wir haben über zwei Jahre lang alles vorbereitet. Wir haben ein Labor eingerichtet, in dem wir arbeiten konnten. Wir haben die Mittel besorgt. Wir haben uns die Kenntnisse angeeignet, die wir brauchten. Wir mussten den Erzkaplan überzeugen, weil er der einzige Priester war, der zum Kaiser durfte und der unser Heilmittel unauffällig überbringen konnte.
Und haltet uns nicht für leichtsinnig: Wir haben das Mittel erprobt. Es war teuer, und es war schon schwer genug, das Gold auch nur für eine einzige Dosis zusammenzukriegen. Trotzdem haben wir uns Zeit gelassen und es gleich mehrmals geschafft. Und … es hat sich gelohnt.« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Ich meine, ich arbeite hier, im Haus der Gemütskranken. Könnt Ihr Euch vorstellen, was es für mich bedeutet hat, als ich die Patienten wieder zu ihren glücklichen Familien bringen konnte? Unheilbar kranke Menschen, die durch den magischen Trank wieder genesen sind?«
»Ihr habt das Mittel an Euren Patienten erprobt?«, fragte Meris.
Havad nickte. »Natürlich nur an solchen, die es wert waren. Wir haben Wahnsinnige hier, die Mörder sind, und andere, die schon vor ihrer Krankheit ein elendes Leben führten. Wie hätten wir die wieder auf die Straße lassen können? Ich habe die Patienten also sorgfältig ausgewählt, solche, deren Heilung so vielen Menschen hilft wie möglich. Drei Mal haben wir es erprobt, und dreimal war es ein voller Erfolg.«
»Aber als Ihr es beim Kaiser angewendet habt«, schloss Meris, »ist es schiefgelaufen.«
»Nicht sofort.« Havads Stirn glättete sich, und er schaute versonnen in die Vergangenheit. »Kaplan Bertin mischte es dem Kaiser in den Wein, während eines wahrhaft gottlosen Gelages, einer jener Festlichkeiten bei Hofe, bei denen nur der engste Kreis zugegen war und die Bertin normalerweise gemieden hat. Aber bei solchen Feiern zu vorgerückter Stunde konnte er sicher sein, dass niemand etwas bemerkt, dass er mit dem Kaiser den Becher tauschen kann, Flaschen hin und her reichen und dass keiner sich etwas dabei denkt. Und es hat geholfen.
Im ersten Augenblick hat es geholfen.«
Er schwieg eine Weile. Dann fuhr er fort: »Das erste Mal, als ich mit dem Erzkaplan danach sprach, war er voll Dankbarkeit und Freude. Der Kaiser war zu ihm gekommen und hatte seinen Rat gesucht! Könnt Ihr Euch das vorstellen? Und Bertin berichtete mir, dass Kaiser Callindrin aus seinem Wahnsinn erwacht sei wie aus einem bösen Traum. Er bereute seine bisherigen Taten und wollte sich ändern. Er wollte das Reich verändern! Es war wie ein Traum, der wahr geworden ist. Wir, die eingeweihten Brüder und Schwestern, feierten, und wir erwarteten eine goldene Zukunft. Wir wussten, dass wir recht gehabt hatten: Es war tatsächlich eine Krankheit gewesen, ein Wahnsinn, der den Kaiser und mit ihm das Reich befallen hatte. Und wir hatten ihn geheilt!«
Meris dachte nach. »Aber … woran ist der Kaiser dann gestorben?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Havad. »Keiner von uns weiß es. Aber schon vor seinem Tod haben wir die Schatten bemerkt … Wir haben uns weiterhin eingeredet, dass wir unserZiel erreicht hätten, dass wir erfolgreich waren. Nach außen hin sah es so aus – doch irgendetwas stimmte nicht. Bertin berichtete, dass der Kaiser das Reich verändern wollte, doch diese Veränderung zeigte sich nirgendwo.
Ihr glaubt, der Kaiser wurde vergiftet? Das mag sein. Da waren Kräfte bei Hofe, denen gefiel es nicht, wie ihr Herr sich verändert hatte. Bertin erzählte uns, wie der Kaiser kämpfte. Er erzählte uns jedoch auch, dass er litt. Vom Wahnsinn war er in den Schmerz geglitten. Er bereute alles und wollte das Reich neu gestalten, aber ihm fehlte die Kraft dazu, weil die Taten der Vergangenheit so schwer auf ihm lasteten.
Als wir vom Tod des Kaisers hörten, glaubten wir also, der Schmerz in seiner Seele habe ihn am Ende erdrückt. Doch woran auch immer er gestorben ist, es war unsere Schuld. Schwester Cendris suchte als Erste den Tod. Sie hatte den Plan
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