Das Schwert des Sehers
skrupellos. Und auch wir dürfen nicht wählerisch sein in der Wahl unserer Mittel, wenn wir gegensie bestehen wollen. Am Ende werden wir den Süden und Edern zurückbekommen.«
Dauras ergriff das Wort: »Wird Eure Hexe überhaupt fertig mit Runnik? Nach allem, was ich gehört habe, lässt er sich nicht leicht einschüchtern. Und wenn Sortor stark genug ist, stellt sich die Frage, ob wir wirklich eine Hexe bei Hof haben wollen, vor der selbst Runnik erblasst?«
»Runnik ist ein widerlicher Nekromant, dessen Treiben jeden gottesfürchtigen Mann mit Abscheu erfüllt«, erwiderte der Kanzler. »Was wir an ihm gefürchtet haben, war nicht seine Macht. Es war das, was er damit getrieben hat. Runnik konnte grausige Dinge tun – mit allen Menschen, die in seiner Nähe waren. Aber jetzt ist er weit fort.
Sortors Kunst hingegen ist … leichter. Sie kann ihre Magie auf den Schwingen des Geistes fliegen lassen. Sie kann Runnik in seinen Träumen besuchen, egal, wo er ist. Ja, sie wird mit ihm fertig. Doch das liegt nicht daran, dass sie mächtiger wäre. Sie ist ein klarer Geist, den ich Runniks Wahnsinn entgegensetzen will.«
Nachdem der Kanzler die Räumlichkeiten der Kaiserin verlassen hatte, schritt Dauras erregt auf und ab. »Was für eine Schauspielkunst! Ihr glaubt ihm doch hoffentlich nicht? Ich weiß ganz genau, was ich in Sortors Turm gehört habe!«
Aruda lachte leise. Sie legte ihm einen Finger auf den Mund. »Ich möchte mich erst einmal umkleiden«, sagte sie. »Die Audienz ist vorüber. Wenn du schon weiter über Amtsgeschäfte reden willst, dann will ich es mir zumindest bequemer machen.«
Mit ihren Dienerinnen zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Dauras blieb allein auf dem Flur. Gegenüber der Tür erstreckte sich eine lange Fensterreihe.
Dauras spürte den Innenhof dahinter, die Kapelle an der gegenüberliegenden Seite. Seine Sinne reichten weit über den Korridor hinaus, ganz gleich, ob klares oder trübes Glas oder gar eine Mauer dazwischenlag. Die Grenzen der anderen bedeuteten ihm wenig. Dennoch fühlte er sich heute gefangen in seiner eigenen Dunkelheit – keine Dunkelheit der Sinne, sondern eine Dunkelheit des Geistes.
Nach der Lehre seines Ordens führte das Schwert zur Vollkommenheit. Es sollte nicht nur Waffe sein, sondern auch spiritueller Führer. Warum konnte er dann nicht einfach das Schwert ziehen und damit all die Verwicklungen am Hof, all die gewundenen Worte dieses falschen Kanzlers genauso leicht zerschlagen wie den Körper eines Feindes?
Bald wurde ein Abendessen aufgetragen. Dauras hielt die Küchenjungen auf und pickte sich eine gebratene Wachtel und Gebäckstücke von den Platten. Ein Page blickte ihn entgeistert an. Dauras bemerkte es. Er beugte sich zu dem Jungen hinab und zwinkerte ihm zu.
»Vorkoster«, sagte er. »Einer muss ja darauf schauen, dass die Speisen für Eure Herrin sicher sind.«
Der Page huschte eilig durch die Tür. Nach und nach kamen sie alle wieder heraus, die Küchenjungen und die Pagen und die Dienstmädchen. Die Letzte von ihnen hielt inne, knickste vor Dauras und sagte: »Die Herrin erwartet Euch nun.«
Dauras war schon halb durch die Tür, als seine Sinne ihm verrieten, dass es wirklich das letzte Dienstmädchen gewesen war. Aruda war allein in ihren Gemächern. Sie saß gleich hinter dem Eingang in dem Empfangsraum, in einem locker fallenden Seidengewand. Auf dem Tisch vor ihr und auf einer Anrichte an der Seite hatten die Diener einen kleinen Imbiss aufgebaut. Neben Arudas Platz am Kopfende der Tafel war über Eck ein zweites Gedeck aufgelegt.
»Setz dich zu mir, Dauras«, sagte sie. »Lass uns gemeinsam speisen.«
»Äh«, sagte Dauras. »Ich habe schon gegessen.«
Aruda zuckte die Achseln. Sie goss ein wenig Wein aus einer Karaffe in zwei Pokale mit schlankem silbernen Fuß. Daraufhin erhob sie sich und ging Dauras entgegen. Sie reichte ihm einen der Pokale, den anderen behielt sie selbst. »Trink einen Schluck mit mir.«
Er nahm den Pokal und hob ihn kurz. »Der Kanzler«, sagte er dann. »Glaubt Ihr ihm?«
Aruda seufzte. Sie setzte sich wieder, nahm eine kleine Pastete und drehte ihr fast geleertes Weinglas in den Fingern.
»Du hast gesehen, was im Kronrat passiert ist«, sagte sie. »Von Reinenbach und von Galdon haben sich gleich auf ihn gestürzt, kaum dass ich ihnen eine Gelegenheit zum Angriff gegeben habe. Dieser Hof ist ein Rudel von Wölfen, und mit Kanzler Arnulf habe ich einen Bären aus dem Käfig gelassen. Es
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