Das Schwert des Sehers
Galdingen kommt, um für seinen Vater zu spionieren?«
Lacan sagte nichts und wartete.
»Prälatin Otilde von Rabenstein«, stellte Nessa die Dame vor. »Meine Base. Und in der Tat: Unser Besucher ist Lacan von Galdingen. Ich weiß nicht, was ihn hierher führt.«
»Sag ihm, er ist nicht willkommen«, forderte die Prälatin ihre Verwandte auf.
Nessa ging nicht darauf ein. »Was glaubt Ihr also, hier tun zu können?«, fragte sie und sah Lacan an.
»Nicht spionieren jedenfalls«, sagte der Ritter. Er nickte der Priesterin zu. »Ich habe meinen Vater seit Jahren nicht mehr gesehen. Wie ich bei unserer letzten Begegnung schon festgestellt habe: Wir sind Nachbarn. Wenn dieses Land eine Last zu tragen hat, sollten wir uns gemeinsam darum kümmern.«
»Ich bin gespannt, was Ihr für die Gemeinschaft tut, wenn Euer Vater mit seinem Heer hier ist«, warf Otilde ein.
»Man wird sehen«, erwiderte Lacan. »Bis es so weit ist, können wir den Frieden und die Höflichkeit wahren. Wir sind alle unter demselben Gott vereint. Ich habe bei den Ritterorden an der Grenze gedient. Wenn Ihr es wünscht, seid Ihr jederzeit als Gast auf meinem Gut willkommen.«
Er hörte, wie Sobrun hinter ihm langsam die Luft ausstieß. Auch Lacan selbst kostete es Überwindung, die Einladung auszusprechen. Aber vielleicht war die Prälatin aus der Hauptstadt gar nicht so unausstehlich, wenn man sie erst einmal näher kennenlernte.
Otilde von Rabenstein lachte nur. »Das würde Euch so passen. Eine Geisel in der Hand zu haben, damit eine Bedrohung für Euren Vater aus dem Weg geräumt ist.«
»Ich glaube, selbst mein Vater führt keinen Krieg gegen die Kirche«, stellte Lacan fest.
»Er führt einen Krieg gegen jede Art von Tugend und Gottesfürchtigkeit«, widersprach die Prälatin. »Und das seit Jahrzehnten. In der Hauptstadt habe ich einiges von seinem Treiben mitbekommen. Es würde ihn gewiss freuen, wenn hier nicht allzu viel davon bekannt würde.«
Lacan nahm an, dass es Arnulf von Meerbergen herzlichegal war, was diese Priesterin noch an Gerüchten über dessen Lebenswandel verbreitete. Klatsch und Tratsch berührten den Kanzler des Reiches kaum, er schien sogar stolz darauf zu sein. Und Lacan glaubte nicht, dass die Frau kriegswichtige Geheimnisse zu erzählen hatte. Sie musste die Hauptstadt schon vor Monaten verlassen haben.
»Ich bin überrascht, Prälatin, dass Ihr überhaupt bei Eurer Base unterkommen müsst. Hat nicht jeder Angehörige der Geistlichkeit auf Reisen ein Recht auf die Gastfreundschaft der örtlichen Kirche?«
»Das sollte man meinen«, erwiderte Prälatin Otilde bitter. »Aber die Äbtissin von Meerbergen verweigert mir seit Monaten die Audienz, um die ich sie gebeten habe. Dabei hatte ich ihr eindringlich bestellen lassen, wie bedeutsam meine Meldungen für die Sicherheit des Reiches und der Kirche sind. Ich wäre längst im Stift, wenn sie mich nur empfangen würde.«
»Wir hoffen auf das Fest des Lebens«, sagte Nessa, halb an Lacan gewandt, halb, um ihre Base zu beschwichtigen. »Vielleicht findet sich ein zwangloser Moment, um mit der Metropolitin zu reden.«
Lacan zweifelte daran. Zum Fest des Lebens kam das halbe Umland in der Stadt zusammen. Die höchste Geistliche von Meerbergen hatte dann gewiss andere Pflichten. Zudem lud der Feiertag ohnehin nicht dazu ein, über ernste Dinge zu sprechen.
Immerhin, an diesem Tag konnte die Äbtissin sich nicht hinter ihren Mauern verstecken. Je nachdem, wie aufdringlich diese Prälatin werden konnte, würde sie möglicherweise ihre Gelegenheit finden.
»Das Fest des Lebens«, sagte er. »Wir können als Nachbarn gemeinsam in die Stadt reisen.«
»Gemeinsam?«, fragten Nessa und Otilde.
»Wir haben denselben Weg«, stellte Lacan fest. »Und wir können unsere Vorräte zusammenlegen.«
Nessa sah ihn an. Sie verstand, was er meinte. Wenn ihr Hof den Winter so schlecht überstanden hatte, dass sie schon bei ihm plündern mussten, dann würden sie auch kaum einen angemessenen Beitrag zum Fest aufbringen können. In einem gemeinsamen Zug jedoch würde niemand die einzelnen Anteile nachhalten. Eine solche Hilfeleistung war möglicherweise leichter anzunehmen als eine offene Spende. Lacan verfolgte, wie Stolz und nüchterne Überlegung in Nessas Gesicht miteinander rangen. »Zu den Festtagen herrscht ohnehin Friedenspflicht«, befand sie. »Es wäre nur vernünftig, wenn wir zusammen reisen.«
»Dann treffen wir uns am Tag vor den Feiertagen«, sagte Lacan. »Zur
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