Das Schwert des Sehers
den geistlichen Teil seiner Verpflichtungen innehat? Ich habe der guten Äbtissin Mirkvis nicht weniger versprochen als die De-facto-Herrschaft über Meerbergen, und das ist mehr, als sie unter dem gegenwärtigen Rat jemals erlangen kann.«
»Das ist verrückt«, sagte Lacan.
»Das ist ein überzeugendes Angebot«, widersprach Arnulf, »Ich war stets der Meinung, dass man sich einig wird, wenn man nur vernünftig miteinander redet.«
»Die Äbtissin kann Euch dennoch die Stadt nicht geben«, sagte Lacan.
»Sie kann eine Menge tun«, erklärte Arnulf. »Das Stift liegt an der Stadtmauer. Sie könnte meinen Truppen Einlass gewähren, wenn es zu einer Belagerung kommt. Sie kann im entscheidenden Augenblick im Inneren ihren Einfluss geltend machen. Doch das lass nur meine Sorge sein. Ich verlange dabei keine Unterstützung von dir, ich verlange auch nicht, dass du für mich in den Kampf ziehst.
Reise über die Feiertage nach Meerbergen und amüsier dich gut. Nimm mich nur unerkannt mit, und danach können wir getrennte Wege gehen.«
Lacan beäugte den Kanzler misstrauisch. »Das geht nicht«, sagte er. »Denkt nach, Vater: Jeder weiß, wer ich bin! Sie werden alles, was ich durch die Stadttore bringe, ganz besonders gründlich durchsuchen.«
»Nicht unbedingt«, warf Valdar ein.
Ritter Lacan und Kanzler Arnulf sahen den alten Mann an.
Der wurde rot und zog den Kopf ein. »Ich meine nur … Man wird uns mit Misstrauen beäugen, das ist wahr. Aber wir reisen nicht allein. Und wer wird einen Wagen genauer untersuchen, wenn es so aussieht, als gehöre er zu der Gesellschaft des Fräuleins von Erlingen?«
29.3.963 – IN MEERBERGEN
A can, Valdar und Sobrun saßen zu Pferde an der Weg kreuzung. Drei große Wagen standen hinter ihnen, hoch beladen und mit Planen abgedeckt. Sie brachten Fässer mit Bier und eingelegtem Gemüse, Kisten mit Eiern, Tonkrüge mit Öl und Met für die Festtage.
Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten und brannte hell von einem klaren Himmel herab. Die Luft war dennoch kühl, und jeder Windzug blies rasch die Wärme von der Haut. Doch es regnete immer noch nicht.
Sie hatten Arnulf von Meerbergen in einem besonders großen Weinfass in der Mitte eines Wagens versteckt.
»Wie lange wollen wir noch auf die Erlinger warten, Herr?«, fragte der Kutscher auf dem vordersten Wagen. »Was, wenn ’se am Morgen schon losgezogen sind?«
Sobrun drehte sich um. Er blickte über die Fuhrwerke hinweg und über die Mägde und Knechte, die sich dahinter drängten – all die Bewohner des Gutes, die mit ihnen zum Festtag in die Stadt ziehen wollten.
»Vielleicht haben sie auch einen anderen Weg genommen«, merkte der alte Söldner an. »Nämlich einen, der bei unserem Hof vorbeiführt. Der steht fast leer, und sie könnten sich überlegt haben, dass sie lieber selbst ein paar Sachen dort aussuchen, die sie mit in die Stadt nehmen.«
»Nessa würde nie gegen die Friedenspflicht verstoßen«, widersprach Lacan. »Außerdem haben wir unsere Streitigkeiten beigelegt.«
Jedenfalls hoffte er das. Denn ihr Plan hing davon ab, dass die Ritterin mit ihnen fuhr. Lacan stellte sich in den Steigbügeln auf und schaute die Straße hinunter.
Er sah eine Bewegung in der Ferne, und bald wurde die Abordnung vom Gut Erlingen sichtbar. Nessa und ihre sauertöpfische Verwandte, die Prälatin Otilde von Rabenstein, ritten an der Spitze.
Lacan lenkte sein Ross auf den Weg, um seine Nachbarin zu begrüßen. Otilde nahm ihr Pferd hinter das ihrer Base zurück, als wollte sie betont auf Abstand zu ihm gehen. Lacan erinnerte sich an das, was sein Vater ihm erzählt hatte: Die Äbtissin des Stifts von Meerbergen war seine Verbündete! Kein Wunder, dass Otilde keine Audienz bei ihr bekam.
Lacan empfand Mitleid mit der Frau.
»Fräulein von Erlingen.« Er nickte Nessa zu. »Frohe Festtage wünsche ich Euch und Eurer ganzen Gesellschaft.«
Misstrauisch ließ sie den Blick über sein Gefolge schweifen. »Ritter Lacan«, antwortete sie knapp.
»Ich schlage vor, Ihr reitet voran«, sagte Lacan. »Dann kommen die Wagen, und ich sichere unseren Zug nach hinten ab.«
»Wir sind nicht im Kriegsgebiet«, erwiderte Nessa.
Lacan dachte an den im Fass versteckten Kanzler und hätte ihr gern widersprochen.
»Ich glaube kaum, dass irgendjemand die Friedenszeit mit einem Überfall stört«, fuhr Nessa fort. »Nicht im Meerbergener Land, wo die Straßenräuber wahrscheinlich selbst längst in der Stadt feiern.«
»Wo sie
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