Das Schwert des Sehers
als Taschendiebe viel mehr verdienen, nach allem, was man so hört«, warf Sobrun halblaut ein.
»Er will sich einschmeicheln, indem er dir den Vortritt lässt«, bemerkte Otilde. »Merkst du das denn nicht? Sein Vater ist in derlei Täuschungen gleichfalls bewandert. Aber wir werden uns davon nicht einlullen lassen, wir werden wachsam bleiben, Herr Ritter.«
»Dann«, sagte Lacan, »werde ich Euch auf der Reise nicht länger mit meiner Gegenwart in Sorge versetzen.«
»Unsinn«, entgegnete Nessa. »Wir reisen zusammen. Also reiten wir auch gemeinsam an der Spitze. Kommt, Herr von Galdingen.«
Sie winkte ihn an ihre Seite. Lacan zögerte. Der Plan sah vor, dass Nessa mit ihrem Gefolge zuerst in die Stadt ritt, die Wagen gleich dahinter und er ganz zum Schluss. Die Wachen sollten davon ausgehen, dass der Transport ausschließlich der Ritterdame zugehörte. Wenn sie gemeinsam eintrafen, konnte das nicht gelingen.
Andererseits … war es viel zu unhöflich, die Einladung auszuschlagen und Nessa allein zu lassen.
»Sobrun«, befahl er. »Geh du mit den waffenfähigen Knechten nach hinten. Gib mir Bescheid … äh, wenn ich gebraucht werde.«
»Klar, Herr«, sagte Sobrun.
Valdar sah Lacan an. »Ich bleibe bei Eurem Waffenknecht. Ich lasse Euch rufen, sobald es nötig ist.«
Lacan nickte dankbar. Dann ritt er neben Nessa, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
»Wo kommt Ihr in Meerbergen unter?«, fragte er, als seine Leute sich eingereiht hatten.
»Bei einem befreundeten Patrizier«, erklärte Nessa. »Das Haus Leerwieter. Sie sind unserer Familie verbunden.«
»Hm, Valdar hat uns einen Flügel in einem Gasthaus reserviert. Wir hätten vielleicht beide Gruppen dort einquartieren können.«
Nessa schüttelte den Kopf. »Zum Maskenfest in Meerbergen kümmert man sich besser zeitig um eine Unterkunft. Und die Leerwieters laden uns jedes Jahr ein.«
»Manche Familien«, warf Otilde hinter ihnen ein, »haben Freunde in der Gegend.«
»Meine Mutter war selten in der Stadt«, sagte Lacan. »Ich glaube, wir haben das Fest des Lebens ein wenig … anders gefeiert.«
Nessa lachte. »In den meisten Teilen des Reiches würde man es eher ungewöhnlich finden, wie in Meerbergen das Fest des Lebens begangen wird. Und auf den Dörfern versteht man ebenfalls zu feiern.«
Lacan zuckte die Achseln. »Mag sein. Aber wir waren auch selten im Dorf.«
Sie ritten weiter. Zu seiner Rechten konnte Lacan in der Ferne die Ruinen von Galdon erahnen. Diese alte Stadt, so hieß es, war vor Jahrhunderten eine Metropole gewesen, eine Rivalin von Meerbergen auf der anderen Seite des Stroms. Dann hatte der Ragnat seinen Lauf verändert. Der Hafen von Galdon war verlandet, und der Boden, auf dem die Stadt stand, war sumpfiger geworden. Am Ende hatte Meerbergen die Gebäude als Steinbruch verwendet, und heute lag Galdon verwüstet da.
Als Kind war Lacan fasziniert gewesen von dem Ort. Er hatte sich eingebildet, dass der Name seiner Familie ihn zum rechtmäßigen Grafen von Galdon machte. Aber seine Mutter hatte seine Streifzüge zu den Ruinen nicht gern gesehen. Als er alt genug war, um nach Belieben dorthin zu reiten, war sein Sinn für solche Abenteuer verloren gegangen, und er hatte dort nichts weiter gefunden als traurige Mauerreste und trügerischen Grund.
Sie gelangten an den Fluss. Der Ragnat war an der Mündung weit und flach, und sie passierten eine gut ausgebaute und mit Steinen gesicherte Furt bis zu einer kleinen Flussinsel. Von da aus führte eine Brücke über einen tieferen Seitenarm zum jenseitigen Ufer. Weiter stromaufwärts und auch unten bei der Stadt gab es Fähren, aber der Brückenzoll war günstiger. An Tagen wie diesem, wenn reges Treibenherrschte und der Übergang gut passierbar war, ging es hier zudem schneller.
Der Nachmittag schritt voran, und schließlich kam Meerbergen in Sicht. Inzwischen waren sie auf der breiten Flussstraße eingepfercht zwischen Menschenmassen, und die meisten strebten auf die Stadt zu, genau wie sie. Fußgänger und Reiter schoben sich an dem langsamen Wagenzug vorbei.
Lacan sah die Türme und die wuchtigen Mauern vor ihnen, und allmählich wurde er unruhig.
Sobrun drängte sich zwischen den Menschen hindurch auf ihn zu. »Herr«, sagte er. »Valdar will mit Euch reden. Er macht sich ein wenig Sorgen um unsere Fracht in dem ganzen Gedränge.«
Nessa sah Lacan an. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Eure Gegenwart dabei einen Unterschied macht. Wir haben keine Räuber
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