Das Schwert des Sehers
Hand nehmen … Es wäre nicht angemessen. Für die Würde, verstehst du?«
»Oh ja. Ich kann es mir vorstellen.«
»Wenn du auf dem Turnier bist«, sagte Arnulf, »dann hör dich ein wenig um. Was für Ritter auf meiner Seite stehen.«
»Ich dachte, ich müsste nichts mehr für Euch tun, Vater?«
Arnulf wischte den Einwand mit einer Handbewegung fort. »Mit den Standesgenossen und Verbündeten plaudern, das ist doch keine Arbeit. Du kannst sie beim Turnier zusammenbringen und ein Lager bilden, dachte ich mir. Rein vorsorglich.«
»Vater.« Unruhe stieg in Lacan auf. »Was habt Ihr vor?«
»Nichts. Aber irgendwann wird es einen Krieg geben, nicht wahr? Zwischen denen, die mir treu sind … und den Verrätern. Dann wäre es schön, wenn die richtigen Leute zusammenstehen.« Er schüttelte das kleine Bündel in seiner Hand auseinander. »Und wenn dieser Augenblick gekommen ist, kannst du vielleicht mein Banner wehen lassen, damit jeder weiß, woran er ist.«
Er drückte seinem Sohn ein Tuch in die Hand. Lacanfröstelte. Er warf einen kurzen Blick darauf und erkannte in dem dämmrigen Stall das Blau und das Gold, während das Wappen selbst in der zusammengeknüllten Flagge verborgen war. Hastig schob er das verräterische Tuch unter sein Wams.
»Vater …«, setzte er an.
»Vergiss das nicht«, fiel Arnulf von Meerbergen ihm ins Wort. »Sobald die Pfeile fliegen, solltest du unter der richtigen Fahne stehen. Du wirst wissen, wann es so weit ist. Du bist schlau. Du bist mein Sohn.«
Er faltete das zweite Stück Stoff auseinander, das er in seinem Bündel gehabt hatte: eine riesige rote Kapuze, die nach oben spitz zulief und mit Augenlöchern versehen war. Arnulf streifte sie sich über.
Als hünenhafter Henker verließ er den Stall und mischte sich unter das Treiben des Maskenfestes.
Dauras und Meris folgten dem Mann mit der goldenen Axt. Er entfernte sich vom Stadtkern. Der Strom der verkleideten Festbesucher verebbte, und es wurde schwieriger, ihm unauffällig zu folgen.
»Setz deine Maske auf«, sagte Meris.
»Ich sehe damit aus wie ein Narr«, murrte Dauras.
»Du bist ein Narr, wenn du diesen Vorteil nicht nutzt«, gab Meris zurück. »Der Söldner mit der goldenen Axt hat uns beide gesehen. Wenn er sich umdreht, wird er dich erkennen. Wir haben Glück, dass wir zum Maskenfest in Meerbergen sind. Niemand wird sich über eine Verkleidung wundern.«
Unschlüssig hielt Dauras die Maske in der Hand. Er sah sich um. Dann entdeckte er auf der Straße einen breiteren, unförmigen Umriss.
»Droschke!«, rief er und winkte. Er trat einen Schritt über die Gosse.
Meris riss ihn zurück. »Was tust du da?«, zischte sie.
»Ich wollte den Wagen herbeirufen. Von dort aus können wir ihn bequem und unbemerkt verfolgen.«
Meris zog ihn mit sich. Sie suchte Deckung hinter den Menschen, die vor ihnen liefen. »Da war keine Droschke«, sagte sie. »Da stand eine sehr dicke Frau am Straßenrand und ein Pferd.«
»Oh.« Dauras setzte die Maske nun doch auf. Ihm war danach, sich zu verstecken. Er zog die Kapuze darum herum zurecht und schnürte sie zu.
Sie folgten dem falschen Priester durch unbelebtere Straßen und kleine Gassen. Die Gebäude wurden gedrungener – Fachwerkhäuser mit schiefen Wänden und oft überkragenden Obergeschossen. Dauras bewunderte die bunten Balken in den Fassaden. Meris vergrößerte den Abstand, damit sie als Verfolger nicht auffielen. Der Priester mit der Goldaxt schritt selbstsicher einher und drehte sich nicht einmal um.
Immer wenn die Gestalt im Priestergewand um eine Ecke bog, beschleunigten sie den Schritt.
Dann verschwand der Mann durch eine kleine Pforte in einen Turm mit vier Geschossen, der an einer recht breiten und gut überschaubaren Straße lag. Alles hier war aus grauem Stein, die Häuserfronten und selbst das Straßenpflaster. Die Dächer waren rot und blassblau, vermutlich mit Tonziegeln gedeckt. Nach allem, was Dauras über Meerbergen wusste, waren sie also wohl in einem alten Teil der Stadt, auch wenn das Viertel weitab vom Zentrum zu liegen schien.
Dauras und Meris gingen weiter. Die Tür zum Turm stand halb offen, und sie sahen schattenhaft mehrere Männer im Gang dahinter stehen. Dauras hörte sie reden. Er erkannte die Stimme des Söldners wieder, dem er vor fast einem halben Jahr in dem einsamen Gasthaus begegnet war – damals, als er umgekehrt war, um Meris zu befreien.
Es fühlte sich an wie die Erinnerung an ein anderes Leben.
»Was
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