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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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zuschanden haut, dass sie am Nachmittag kein Glied mehr rühren können, dann könntet Ihr am Abend bei den Damen zum Zuge kommen.«
    »Vielen Dank, Fräulein Nessa. Eure Worte sind ungemein aufmunternd.«
    Das Tor zum Turnierplatz war groß, dennoch staute sich die Menge davor. Die Teilnehmer mussten nach links über den Platz reiten, die Zuschauer begaben sich auf die Ränge.
    Nessa zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und wedelte damit vor Lacans Gesicht. »Ich kann Euch ein Pfand anbieten, Lacan, wenn es Euch tröstet. So könntet Ihr die Menge zumindest glauben machen, dass eine Dame für den Feiertag auf Euch wartet.«
    Lacan sah das Tuch und erinnerte sich an das Banner seines Vaters. Er hatte es unter sein Kettenhemd gestopft. Er wollte auf keinen Fall, dass es bei ihm gefunden wurde, und ein besseres Versteck wusste er nicht. Jetzt malte er sich aus, wie er beim Turnier verletzt wurde, besinnungslos zu den Heilern kam und man die Flagge des Erzfeindes der Stadt bei ihm fand, sobald man ihn aus seiner Rüstung schälte.
    Er verzog das Gesicht, dann fiel ihm auf, wie Nessa diese Geste deuten musste. Eilig nahm er ihr Tuch an. »Es wäre mir eine Ehre«, sagte er.
    Sie runzelte die Stirn. »Wo habt Ihr eigentlich das Kostüm, das ich für Euch ausgesucht habe?«, fragte sie.
    »Ihr habt mich als Esel verkleidet!«, rief Lacan empört. »Ihr könnt nicht erwarten, dass ich so zum Turnier erscheine.«
    Nessa hatte diese Maske bei ihrem ersten gemeinsamen Abend in der Stadt für ihn entdeckt: den täuschend echt nachgebildeten Kopf eines Esels   – ein Gestell aus Holz, mit Fell bespannt und mit Augenlöchern. Zwei Tage lang war Lacan damit herumgelaufen, bis Sobrun ihm erklärt hatte, dass er jetzt endlich die alte Redensart richtig verstünde: sich für eine Frau zum Esel machen .
    Danach hatte Lacan das Kostüm auf dem Wagen verstaut. Das war gestern Abend gewesen, und wenn er Glück hatte, würde sich bis zum Mittag ein mitleidiger Dieb finden und das Ding entwenden, bevor er zurückkehrte.
    Nessa lachte.
    »Ich kann Euch jedenfalls versprechen«, sagte er zu ihr, »auf dem Turnier heute werde ich mich nicht zum Esel machen.«
    Dauras hielt inne. Er sah den vierstöckigen Turm, in dem der Kanzler untergekommen war. In den letzten Tagen war Dauras einige Male daran vorbeigegangen und hatte sich mit denGegebenheiten vertraut gemacht, sodass er inzwischen den Eingang und den Weg dorthin fand.
    Das spitze rote Dach sah aus, als würde es über dem Bauwerk schweben. Es bohrte sich in den grauen Himmel, der mit den Mauern des Turms und den umliegenden Häusern sowie dem steinernen Pflaster der Straße zu einem schwer fassbaren Einerlei verschwamm. Ein einsamer Spaziergänger kam auf Dauras zu. Niemand sonst bewegte sich vor ihm.
    Dauras war als Lumpensammler verkleidet, er trug ein schäbiges, ausgebleichtes Gewand und hatte seine Karre mit alten Kleidungsstücken und Fetzen beladen. Er nahm seine Schubkarre wieder auf und marschierte weiter, damit er keine Aufmerksamkeit erregte. Wenn er die Augen schloss, hörte er die hölzernen Räder über das Pflaster holpern. Er vernahm das Rascheln seiner Tunika und die leise scharrenden Schritte des Fußgängers. Dauras versuchte, seine Sinne ausgreifen zu lassen. Das war etwas, was er sich in vierzig Jahren angewöhnt hatte, doch heute ging es ins Leere.
    Vor vier Monaten hätte er gewusst, wo Meris steckte. Jetzt konnte er nur hoffen, dass bei ihr alles gut lief und dass sie ihren Teil des Plans erledigen würde.
    Pock. Pock. Pock.
    Dauras musste die Pflastersteine nicht zählen, er hatte ein gutes Gespür dafür, wie weit er gekommen war. Die Schritte der anderen Leute entfernten sich wieder. Gehör, Geruch   … die vertrauten Sinne vermittelten ihm Geborgenheit. Dennoch, diese Art der Wahrnehmung reichte nicht aus. Im Augenblick konnte er nicht einmal die Wachen vor der Türe wahrnehmen, obwohl er wusste, dass sie dort waren.
    Er lenkte die Schubkarre dicht an die Hauswand und blinzelte unter den Lidern hervor. Das Holz schabte über die Mauersteine. Dauras spürte und hörte es, noch bevor er die Wand sah. Er hob den Kopf und blickte nach vorn. Dannmachte er die Augen wieder zu. Er lächelte und schob die Karre weiter wie ein Schlafwandler.
    »He!«, rief jemand.
    Dauras war mit seiner Karre gegen etwas Weiches gestoßen. »Pass doch auf, wo du hinschiebst. Schläfst du?«, schimpfte der Mann.
    Dauras hörte, wohin der Mann auswich. Er lenkte die Karre in dieselbe

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