Das Schwert des Sehers
gewesen«, erwiderte Meris. Sie setzte Tordis auf das Bett und suchte etwas Kleidung zusammen. Das Ballkleid vom gestrigen Abend hing ordentlich über einem Ständer – Dekkas Werk, ohne Zweifel, denn Meris konnte sich nicht erinnern, es weggeräumt zu haben.
»Ich weiß«, sagte Dauras. »Ich habe dich bemerkt. Aber die Kaiserin hätte dich gern an ihrer Seite gehabt.«
»Sie hatte genug Gesellschaft«, sagte Meris. »Wenn ich mich zwischen all den Fürsten, die bei ihr Schlange standen, auch noch hindurchgedrängt hätte, dann hätte ich mir wohl genug Feinde bei Hofe zugezogen, um den nächsten Anschlag auf mich zu lenken.«
»Den nächsten Anschlag?« Dauras hob die Brauen.
Meris blickte von ihm zu der Amme. »Später«, sagte sie.
Dekka zupfte an Dauras’ Gewand. »Es ist nicht höflich, dabeizustehen, wenn eine Dame sich ankleidet«, sagte sie vorwurfsvoll.
Dauras grinste zu der alten Frau hinunter. »Oh, das macht nichts. Ich bin ohnehin blind.«
»Seine Ausrede für alles«, sagte Meris. »Aber das bedeutet nur, dass es gar keine Rolle spielt, ob er vor oder hinter der Tür auf mich wartet. Oder ob ich überhaupt etwas anhabe.«
Sie sah Dauras an und kniff die Augen zusammen.
Der zuckte die Achseln und versuchte nicht einmal, etwas zu leugnen. »Keine Sorge, man stumpft ab mit der Zeit. So viele hübsche Frauen auf der Straße. Da werde ich nicht gerade dir unter den Rock schauen.«
»Danke.« Meris dachte an ihr Messer und bedauerte, dass sie es im Flur hatte liegen lassen. »Näher dürftest du einer Frau wohl auch nicht kommen, bevor sie dein grobes Benehmen bemerkt. Ich frage mich, ob unsere Herrin auch an diese Dinge gedacht hat, als sie dich zu ihrem Leibwächter ernannte.«
»Sie denkt an andere Dinge, derzeit.« Er setzte sich auf Meris’ Bett, nahm Tordis bei der Hand und ermunterte sie, auf der Matratze herumzuhüpfen. Als Meris sich angekleidet und von Dekka ein Brot hatte reichen lassen, brachen sie und Dauras auf. Tordis war ganz aufgedreht und flitzte zwischen den Erwachsenen herum.
»Wer ist der Vater?«, fragte Dauras.
Meris winkte ab. »Nicht wichtig. Ein Ritter, den ich bei einer Mission am Hofe des Grafen an Ferriac kennengelernt habe. Ich bin dort als Gesandte aufgetreten. Er darf niemals erfahren, wer ich wirklich bin.«
Auf der Straße sah sie sich noch einmal um. Dekka stand in der Tür, Tordis auf dem Arm. Meris winkte.
Sie dachte an die Mission zurück, von der sie ihre Tochter mitgebracht hatte. »Ich hoffe allerdings«, sagte sie, »dass Tordis ein wenig vom guten Aussehen ihres Vaters mitkriegt und nicht allein nach der Mutter kommt.«
»Warum?«, fragte Dauras. »Du bist doch ganz gut geraten. Für eine Frau.«
Meris sah ihn an. Dauras schien einen Augenblick zu brauchen, bis die eigenen Worte in seinen Geist einsickerten.
»Ich meine«, fügte er rasch hinzu, »nicht dass ich weibliche Formen nicht zu schätzen wüsste. Oder dass ich Männer vorzöge. Aber was den Körperbau angeht, die Kraft, die Muskeln …«
Meris verdrehte die Augen. »Lass es lieber«, sagte sie. »Du machst alles nur noch schlimmer.«
»Ich komme eben aus dem Kloster«, erwiderte er. »Ich bin nicht so vertraut mit ritterlicher Galanterie. Ich wollte nur sagen, dass du gut dabei bist. Man merkt, dass du in Sir-en-Kreigen ausgebildet wurdest.«
»Ja«, sagte Meris. »Bei dir merkt man das auch. Da kann ich froh sein, dass ich nur drei Jahre dort verbracht habe.«
Er ging ein wenig steifbeinig neben ihr her. Sie wechselte das Thema: »Hast du auch gehört, wie Tordis mich heute ›Mama‹ genannt hat?«
»Also, ich habe ›Amma‹ verstanden«, antwortete Dauras. Er bekam vermutlich gar nicht mit, was für einen Stich er Meris damit versetzte. Sie seufzte. Dauras schaffte es wirklich, jeden Ansatz von harmlosem Geplauder gleich in das nächste Sumpfloch zu lenken.Nach einem kurzen Schweigen fragte er: »Wie war das mit dem Anschlag?«
»Ich kann nicht …« Sie senkte die Stimme. »Ich habe etwas herausgefunden. Aber ich kann nicht darüber sprechen.«
»Nicht einmal mit der Kaiserin? Sie wartet sehnsüchtig auf deinen Bericht.«
»Ich könnte ihr unmöglich erklären, woher ich es weiß«, sagte Meris. »Ganz besonders nicht ihr. Und ich kann auf der Straße nicht davon reden. Wer weiß, wer zuhört?«
Dauras lachte. »Keine Sorge«, sagte er. »Einen heimlichen Lauscher bemerke ich selbst dann, wenn er sich hinter einer Ecke versteckt. Oder hinter einer Wand.«
Meris
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