Das Schwert des Sehers
schon neue Platten herein, kaum dass die alten halb abgeräumt waren. Diener liefen mit Karaffen umher und schenkten Wein nach. Auf mehreren Bühnen in der riesigen Halle zeigten Tänzer und Gaukler ihre Kunst, und Musikgruppen spielten auf. Gewaltige Tücher mit dem Wappen der Grafschaft Meerbergen reichten von der Decke bis zum Boden.
Meris frage sich, woher Kanzler Arnulf die Mittel für all das nahm. Er hatte im Kerker gesessen, seine Ländereien lagen in den abtrünnigen Gebieten, und die Stadt Meerbergen selbst, auf die er als Graf Anspruch erhob, hatte er nie unter seine Herrschaft gebracht. Nein, schon zu Lebzeiten des alten Kaisers hatte er in dem aussichtslosen Kampf gegen den Rat dieser reichen Handelsstadt viele Mittel verschwendet.
Arnulf von Meerbergen trat an der Seite der Fürstin an Efforel auf. Das erklärte vielleicht ein wenig, wie dieser Abend sein strahlendes Gepränge entfalten konnte. Die Fürstin war in der Tat eine passende Begleitung für den hünenhaften Kanzler. Sie war größer als die meisten Männer bei Hofe und trug die dunkelblonden Zöpfe hochgesteckt. In einem silbergrauen Kleid schwebte sie durch den Raum wie eine ätherische Erscheinung, wie die Göttin Horome selbst, die aus dem Paradies herabgestiegen war und huldvoll ihren Segen spendete.
Die Fürstin, die denselben Vornamen trug wie Meris, hatte den Ball für den Kanzler ausgerichtet, und nun schmückte sie sogar seinen Auftritt. Dass er dafür ihren Mann ebenfalls ertragen musste, den Hofrat Gerold an Efforel, der ihn den ganzen Abend umkreiste wie eine lästige Fliege, nahm Arnulf wohl in Kauf. Wenn auch sichtlich widerwillig, wie Meris feststellte.
Meris hielt sich in ihrem einfachen blauen Ballkleid abseits der Gesellschaft. Sie fühlte sich ein wenig alleingelassen. Dauras, der sie zu dem Ball überredet hatte, blieb an der Seite der Kaiserin, und dort oben auf dem Podest wollte Meris sich nicht sehen lassen, das hätte allem widersprochen, woran sie als Agentin des geheimen Kurierdienstes gewöhnt war. Wenn der Abend voranschritt und der Wein die Zunge löste und den Geist benebelte, dann würde sie vielleicht das eine oder andere erhellende Gespräch führen können.
Bis dahin bedeutete am Rande der Gesellschaft immerhin in der Nähe des Büffets, und das war kein schlechter Ort bei diesem Fest. Langsam wanderte sie an den Tischen entlang. Sie betrachtete das Geschehen in der Mitte des Saals und schlenderte von der Streichmusik, die zum Tanz aufspielte, zu einem Barden, der auf der anderen Seite des Raumes klassische Gesänge über Heilige und Helden vortrug.
Sie kannte die meisten der Gäste. Meris war überzeugt, dass der oder die Mörder des alten Kaisers hier im Saal zugegen waren. Und es war kein Geheimnis, dass sie in diesem Fall ermittelte. Wie viele der Feiernden verfolgten jeden ihrer Schritte mit Aufmerksamkeit und Argwohn?
Meris versuchte, die Blicke der Menschen um sie herum zu deuten. Sie dachte an das Gift, das den Kaiser getötet hatte, und hatte das Gefühl, dass der Geschmack des Essens, das sie zu sich nahm, sich plötzlich veränderte.
Eine leichte Berührung an ihrem Arm ließ sie zusammenzucken.
»Oh, die Dame Botin «, säuselte eine sanfte Stimme. »Welch angenehme Überraschung, dass ich meiner Retterin hier wieder begegnen darf.«
Meris wandte den Kopf und blickte in rote Augen und in ein Gesicht, so blass wie ein erfrorenes Kind, umrahmt von weißen Haaren. Es war die Dame Sortor, und diese trug ungeachtet des festlichen Anlasses dieselbe formlose himmelblaue Kutte wie bei ihrer ersten Begegnung. Die weite Kapuze lag an diesem Abend steif über den Schultern, wie ein Stück Stoff, das feucht geworden und dann gefroren war.
»Ihr habt den Weg in die Stadt gefunden«, stellte Meris fest. Sie bemerkte außerdem, dass die Dame Sortor einen ganzen Kopf größer war als sie selbst. Seinerzeit in der Sänfte war ihr das nicht aufgefallen. Aus der Nähe betrachtet, war das rundliche Gesicht der Frau noch irritierender, die blasse,faltenlose Haut, das weiß schimmernde Haar … nicht alt, nicht jung. Sortor vermittelte den Eindruck, als würde die Zeit an ihr vorbeigleiten, während sie selbst davon unberührt blieb wie unter einer dünnen Schicht Eis.
»Dank Ihrer Güte«, sagte Sortor liebenswürdig. »in die Stadt und noch ein Stück weiter.« Sie lächelte mit weißen, ebenmäßigen Zähnen.«
»Kein Grund für das ›Ihr‹«, sagte Meris. »Ich bin nicht von Stand.«
»Ich bin
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