Das Schwert in Der Stille
diesen beiden Männern: der Lord so offen, Kenji so verschlagen und listig.
»Ich muss wissen, wie es dazu gekommen ist. Ich rede nicht mit dir um der Unterhaltung willen, Shigeru. Ich muss es wissen.« Kenjis Ton war drängend.
Ich hörte Chiyo auf der Treppe hantieren. Lord Shigeru sagte: »Wir müssen baden und essen. Nach der Mahlzeit reden wir weiter.«
Er wird mich nicht mehr in seinem Haus haben wollen, jetzt da er weiß, dass ich der Sohn eines Attentäters bin. Das war mein erster Gedanke, als ich im heißen Wasser saß, nachdem die älteren Männer gebadet hatten. Ihre Stimmen hörte ich aus dem oberen Zimmer. Sie tranken Wein und plauderten über die Vergangenheit. Dann dachte ich an den Vater, den ich nie gekannt hatte, und empfand tiefe Trauer, weil es ihm unmöglich gewesen war, seiner Vergangenheit zu entfliehen. Er hatte das Töten aufgeben wollen, doch es gab ihn nicht auf. Es hatte die langen Arme ausgestreckt und ihn gefunden, sogar in Mino, genau wie Iida Jahre später die Verborgenen dort aufgespürt hatte. Ich betrachtete meine langen Finger. War das ihre Bestimmung? Zu töten?
Was ich auch von ihm geerbt haben mochte, ich war ebenso das Kind meiner Mutter. Ich war aus zwei Strängen gewoben, die unterschiedlicher nicht sein konnten, und beide lagen mir im Blut, in Muskeln und Knochen. Ich erinnerte mich auch an meine Wut über die Wachen. Ich wusste, dass ich mich wie ihr Herr benommen hatte. Sollte das der dritte Strang in meinem Leben sein, oder würde Lord Shigeru mich jetzt, da er wusste, wer ich war, wegschicken?
Die Gedanken wurden zu schmerzhaft, allzu schwierig zu entwirren, und überhaupt rief mich Chiyo zum Essen. Das Wasser hatte mich endlich gewärmt und ich war hungrig.
Ichiro hatte sich Lord Shigeru und Kenji angeschlossen, und die Tabletts lagen schon vor ihnen. Als ich kam, sprachen sie über belanglose Dinge: das Wetter, die Gartenanlage, meine mangelhafte Lernfähigkeit und mein schlechtes Benehmen. Ichiro war mir immer noch böse, weil ich am Nachmittag verschwunden war. Mir schien es Wochen her zu sein, dass ich mit Fumio im kalten Herbstfluss geschwommen war.
Das Essen war noch besser als sonst, doch nur Ichiro genoss es. Kenji aß schnell, der Lord berührte fast nichts. Ich war abwechselnd hungrig und angeekelt, ich fürchtete und ersehnte das Ende der Mahlzeit. Ichiro aß so viel und so langsam, dass ich glaubte, er würde nie fertig werden. Zweimal schien die Mahlzeit beendet zu sein, da nahm er »nur noch einen winzigen Bissen«. Endlich klopfte er sich auf den Magen und rülpste leise. Er wollte ein weiteres langes Gespräch über Gärten beginnen, doch Lord Shigeru gab ihm ein Zeichen. Mit ein paar Abschiedsfloskeln und einigen weiteren spöttischen Bemerkungen an Kenji über mich zog er sich zurück. Haruka und Chiyo kamen, um das Geschirr abzuräumen. Als sie gegangen waren und ihre Schritte und Stimmen in der Küche verklangen, beugte sich Kenji vor und streckte die Hand mit der offenen Handfläche nach Lord Shigeru aus.
»Nun?«, sagte er.
Ich wäre am liebsten den Frauen gefolgt. Ich wollte nicht hier sitzen, während diese Männer über mein Schicksal entschieden. Denn dazu würde es bestimmt kommen. Kenji war gekommen, um im Namen des Stamms irgendeinen Anspruch auf mich zu erheben. Und Lord Shigeru würde jetzt bestimmt nur zu glücklich sein, mich gehen zu lassen.
»Ich weiß nicht, warum diese Nachricht dir so wichtig ist, Kenji«, sagte Lord Shigeru. »Ich kann kaum glauben, dass du es noch nicht erfahren hast. Wenn ich es dir sage, vertraue ich darauf, dass es unter uns bleibt. Selbst in diesem Haus weiß es niemand außer Ichiro und Chiyo. Du hattest jedenfalls Recht mit deiner Vermutung, dass ich nicht wusste, wen ich in mein Haus gebracht hatte. Es geschah alles durch Zufall. Es war spät am Nachmittag, ich war irgendwie vom Weg abgekommen und hoffte in dem Dorf, das, wie ich später entdeckte, Mino heißt, übernachten zu können. Ich war nach Takeshis Tod einige Wochen lang allein gereist.«
»Hast du ihn rächen wollen?«, fragte Kenji ruhig.
»Du weißt, wie die Dinge zwischen Iida und mir stehen - seit Yaegahara. Aber ich konnte kaum hoffen, an diesem abgelegenen Ort auf ihn zu stoßen. Es war nur der seltsamste Zufall, dass wir beide, die erbittertsten Feinde, am selben Tag dort waren. Wenn mir Iida dort begegnet wäre, hätte ich ihn bestimmt zu töten versucht. Aber stattdessen lief mir dieser Junge über den Weg.«
Er erzählte
Weitere Kostenlose Bücher