Das Schwert in Der Stille
gerade die Teeschale, die er in der ausgestreckten Hand hielt. Er stellte sie behutsam auf die Matte vor sich und saß regungslos da.
»Es ist unser Wunsch, dass Lady Shirakawa deine Frau wird«, sagte Lord Masahiro.
»Verzeih mir, Onkel, aber ich habe nicht den Wunsch, wieder zu heiraten. Ich habe nicht an Heirat gedacht.«
»Zum Glück hast du Verwandte, die für dich daran denken. Diese Heirat ist von Lord Iida sehr erwünscht. Tatsächlich hängt das Bündnis davon ab.«
Lord Shigeru verbeugte sich. Wieder entstand eine lange Stille. Ich hörte Schritte von weit her, den langsamen, entschlossenen Gang zweier Menschen, von denen einer etwas trug. Die Tür hinter uns glitt auf, ein Mann ging an mir vorbei und fiel auf die Knie. Hinter ihm trug ein Diener einen Lackschreibtisch mit Tusche und Pinsel und roter Zinnoberpaste für die Siegel.
»Ah, die Adoptionspapiere!«, sagte Lord Shoichi munter. »Bring sie uns.«
Der Sekretär kam auf den Knien näher und der Tisch wurde vor die Lords gestellt. Dann las der Sekretär laut den Vertrag. Die Sprache war blumig, der Inhalt aber ziemlich einfach: Ich wurde berechtigt, den Namen Otori zu tragen und alle Privilegien eines Sohns des Hauses zu empfangen. Falls in einer späteren Ehe Kinder geboren würden, sollten meine Rechte die gleichen sein wie die ihren, doch nicht größer. Umgekehrt erklärte ich mich bereit, mich als Sohn von Lord Shigeru zu verhalten, seine Autorität anzuerkennen und dem Otoriclan Treue zu schwören. Sollte Lord Shigeru ohne einen anderen gesetzmäßigen Erben sterben, würde sein Besitz mir zufallen.
Die Lords griffen nach den Siegeln.
»Die Hochzeit wird im neunten Monat sein«, sagte Masahiro, »wenn das Fest der Toten vorbei ist. Lord Iida wünscht, dass sie in Inuyama stattfindet. Die Noguchi schicken Lady Shirakawa nach Tsuwano. Du wirst dort mit ihr zusammentreffen und sie in die Hauptstadt begleiten.«
Die Siegel schienen in der Luft zu hängen und von einer übernatürlichen Macht gehalten zu werden. Ich hatte immer noch Zeit zu sprechen, mich zu weigern, unter solchen Bedingungen adoptiert zu werden, Lord Shigeru vor der Falle zu warnen, die für ihn aufgestellt war. Aber ich sagte nichts. Es war zu spät zum Eingreifen. Jetzt nahm das Schicksal seinen Lauf.
»Sollen wir das Siegel anbringen, Shigeru?«, fragte Masahiro mit unendlicher Höflichkeit.
Lord Shigeru zögerte keinen Augenblick. »Bitte«, sagte er. »Ich akzeptiere die Heirat und bin glücklich, euch einen Gefallen zu tun.«
So wurden die Siegel angebracht, und ich war nunmehr Angehöriger des Otoriclans und Lord Shigerus Adoptivsohn. Aber während die Siegel des Clans auf die Dokumente gepresst wurden, wussten wir beide, dass sie dessen Schicksal besiegelten.
Bis wir zu Hause ankamen, hatte der Wind die Nachricht von meiner Adoption uns vorausgetragen, und alles war für das Fest bereit. Lord Shigeru und ich hatten beide Gründe, nicht aus ganzem Herzen feiern zu wollen, aber er schien die Zweifel, die er über die Heirat haben mochte, zur Seite zu schieben und wirklich fröhlich zu sein, genau wie alle anderen im Haus. Ich merkte, dass ich tatsächlich einer der ihren geworden war in den Monaten, die ich bei ihnen verbracht hatte. Ich wurde umarmt, gestreichelt, bemuttert und mit rotem Reis und Chiyos speziellem Glückstee aus gesalzenen Pflaumen und Seetang bewirtet, bis mir das Gesicht vom Lächeln wehtat und die Tränen, die ich aus Trauer nicht geweint hatte, meine Augen vor Freude füllten.
Lord Shigeru verdiente meine Liebe und meine Ergebenheit jetzt noch mehr. Die Niedertracht seiner Onkel hatte mich um seinetwillen empört, und ich war entsetzt über das Komplott, das sie gegen ihn geschmiedet hatten. Dann war da noch der Einarmige. Den ganzen Abend spürte ich Kenjis Blick auf mir: Ich wusste, dass er hören wollte, was ich erfahren hatte, und ich wollte es ihm und Lord Shigeru zu gern erzählen. Doch als die Betten ausgebreitet waren und die Dienstboten sich zurückgezogen hatten, war es nach Mitternacht, und ich zögerte, die fröhliche Stimmung mit schlechten Nachrichten zu verderben. Ich wäre zu Bett gegangen, ohne etwas zu sagen, doch Kenji, der einzige Nüchterne von uns, hielt mich auf, als ich die Lampe löschen wollte. »Zuerst musst du uns berichten, was du gehört und gesehen hast.«
»Warten wir doch lieber bis zum Morgen«, gab ich zurück.
Ich sah, dass sich die Dunkelheit hinter Shigerus Blick vertiefte. Eine ungeheure Traurigkeit
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