Das Schwert - Thriller
Überraschung bog der Fahrer, statt auf der 66 zu bleiben, die an den Megiddo und Mischmar Ha’emek Kibbuzim vorbeiführte, nach links ab, auf die Wadi-Ara-Straße, eine Hauptverkehrsader zwischen Afula und Hadera an der Küste, weit südlich von Haifa.
Zu ihrer Rechten erstreckte sich der grünbraune Flickenteppich der Jesreel-Ebene, betupft mit roten und weißen Dächern: rot in den arabischen Dörfern, weiß in den israelischen Siedlungen. Links wie rechts lagen kleine Gehöfte inmitten von Olivenhainen. Am Horizont wuchs die Silhouette einer größeren Ortschaft empor.
Mit über 40 000 Einwohnern war Umm al-Fahm die zweitgrößte arabische Niederlassung auf israelischem Boden. Samiha war oft hier gewesen, als Gast der Freunde und Familien von jungen Männern, die sie als Anwältin betreute. Eine israelische Ortschaft war sie nur insoweit, als sie sich innerhalb der engen Grenzen des jüdischen Staatesbefand. In Wirklichkeit war Umm al-Fahm eine Brutstätte des islamischen Radikalismus. Israelis pflegten auf Grund von Übergriffen der Einwohner zu Beginn der zweiten Intifada einen Bogen darum zu machen. Der Krieg im Libanon hatte die Situation noch verschlimmert.
»Warum sind wir abgebogen?«, fragte Samiha den Fahrer. »Wir verlieren Zeit. Wir haben nicht die Erlaubnis, einen Umweg zu machen.«
Statt einer Antwort zuckte er mit den Schultern.
Sie begegneten zwei Polizeistreifen, wurden aber nicht kontrolliert. Ein Stück weiter, schon fast am Ortseingang, fuhr ziemlich schnell ein Jeep mit Soldaten der Grenzwache vorbei, und einen Moment lang fühlte Samiha, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Warum wünschte sie sich nicht, angehalten zu werden, die Chance zu haben, sich selbst auszuliefern und einer Gefängnisstrafe entgegenzusehen statt dem Tod?
Zu spät. Der Zeitpunkt, noch etwas zu ändern, war vorhin gewesen, am Checkpoint, aber sie musste an ihre Kinder denken. Den Kindern eines Märtyrers wurden Privilegien eingeräumt, die Familie eines Märtyrers erhielt finanzielle Zuwendungen, mehr Geld, als die meisten Leute sich erträumten, eine Einmalzahlung in Höhe von 25 000 Dollar, plus lebenslang 330 Dollar monatlich.
Und nicht nur das: Mit ihrem Tod war die Familienehre wiederhergestellt, und Adnan und Nabil mussten nicht Zeit ihres Lebens unter der Schande ihrer Mutter leiden. Welche Wahl hatte sie also?
Sie gelangten in ein Labyrinth winkliger Gassen, durch das der Wagen sich tiefer und tiefer in das Herz des Ortes tastete, vorbei an einem kleinen Marktplatz und weiter durch ein unübersichtlich verschachteltes Wohnviertel.
»Wo bringst du mich hin?«, fragte sie.
Wieder gab er keine Antwort, doch gleich darauf erreichtensie eine breite, mit einem schweren Rolltor verschlossene Einfahrt. Der Fahrer hielt an, das Tor glitt in die Höhe, und sie fuhren hindurch, in den dahinter befindlichen kleinen Innenhof.
»Aussteigen«, befahl er. »Schnell.«
Eine Tür ging auf, und sie sah eine Frau mit Kopftuch, die ihr winkte, ins Haus zu kommen.
Hinter ihr schloss sich die Tür, und sie wurde eine Treppe hinaufbugsiert und in ein kleines Zimmer, wo eine Frau in ungefähr ihrem Alter auf einem Stuhl saß. Sie trug nur Unterwäsche: einen gefütterten BH und eine blickdichte Strumpfhose. Sie lächelte nicht, als Samiha hereinkam.
Die Frau, die Samiha eingelassen hatte, trat ebenfalls ins Zimmer und machte hinter sich die Tür zu. Samiha schätzte ihr Alter auf ungefähr vierzig Jahre; ihre Kleidung ließ keinen Zweifel an ihren religiösen Ansichten. Ihr Gesicht mochte einmal schön gewesen sein, aber Vernachlässigung und die von Unmutsfalten gefurchte Stirn verliehen ihm einen Ausdruck von Strenge und Verbitterung.
»Zieh deine Kleider aus«, ordnete sie an, »und gib sie Hiba. Auch den Gürtel. Sei vorsichtig, wenn du ihn abnimmst.«
»Ich verstehe nicht. Was hat das zu bedeuten?«
»Wir haben nicht viel Zeit«, fuhr ihr die Frau über den Mund. »Du gehörst nicht mehr zu dieser Mission. Hiba wird deinen Platz einnehmen. Sie wird an deiner Stelle an der Konferenz teilnehmen ...«
»Aber ...« Samiha nestelte an den Knöpfen der Kostümjacke.
»Hiba ist Hochschulabsolventin. Wie du spricht sie fließend Hebräisch. Sie wird sagen, du wärst im letzten Moment krank geworden, sie wird deine Papiere haben, und fünf Minuten nach Eröffnung der Konferenz wird sieden Gürtel zünden. Die Männer in jenem Saal sind alle an der Verfolgung palästinensischer Freiheitskämpfer beteiligt gewesen. Wir
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