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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Auf dem Kreuzzug hatte jemand von einem Bären erzählt, den er einmal am Pranger gesehen hatte. Man hatte ihn zu Tode gesteinigt, um den Teufel aus ihm zu vertreiben. Wenn es auf diesem Platz zu etwas Ähnlichem kam, wollte ich es nicht sehen.
    Ich wandte mich bereits ab, als ein Mann vor mir zur Seite trat und ich das Pferd sah, das hinter dem Karren angebunden war.
    O nein, dachte ich.
    Hastig kämpfte ich mich durch die Menge nach vorn. Einige fluchten unwillig, aber die meisten machten mir Platz. Außer mir waren nur wenige Frauen anwesend. Keine war allein.
    Als Erstes entdeckte ich den Mann neben dem Pranger. Er war groß und dick, wenn auch nicht annährend so fett wie Jakob – was hatte er mit dem Kardinal besprochen? – und trug eine lange fleckige Robe. Sein Gesicht verbarg er unter schwarzem Stoff.
    Er reckte die Fäuste in die Luft, und ich sah die Lederriemen, die er um seine Knöchel gebunden hatte. Blut tropfte von ihnen herab. Er schrie etwas. Die Menge johlte. Dann bückte er sich und verschwand aus meinem Gesichtsfeld.
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, versuchte etwas über die Köpfe und Schultern der anderen zu sehen. Ketten klirrten, dann zog der Folterknecht einen Mann vom Boden hoch. Seine Kleidung war zerrissen. Schweißnasses Haar hing in ein blutüberströmtes Gesicht. Er war kaum noch bei Bewusstsein.
    Diego!
    Der Folterknecht schrie wieder etwas und winkte. Anscheinend rief er jemanden zu sich.
    Wie ein riesiges Tier drehte die Menge den Kopf nach links, zu der Schmiede, die dort errichtet worden war. Ein Junge lief dem Henker entgegen. Er hatte ein langes Eisen in der Hand, an dessen Spitze sich ein rot glühender Kreis befand. Das Symbol, das darin eingelassen war, konnte ich nicht erkennen, der Junge war noch zu weit weg.
    Doch dann kam er näher, und ich sah, dass es ein Davidstern war, das Symbol der Juden.
    Ich presste die Hand vor den Mund, ahnte auf einmal, was geschehen würde.
    Neben dem Pranger blieb der Junge stehen. Der Folterknecht nahm ihm das Eisen aus der Hand, hielt es hoch und drehte sich, damit jeder es sehen konnte. Die Menge begann zu brüllen. Immer wieder stieß sie dasselbe Wort aus.
    »Ebreo! Ebreo! Ebreo!«
    Ich wusste nicht, was es bedeutete, aber ich konnte es mir denken: Jude.
    Diego hob den Kopf. Seine Augen weiteten sich, er zerrte an den Ketten, die ihn an dem Pranger hielten. Der Folterknecht verkrallte die freie Hand in seine Haare, riss seinen Kopf zurück. Diego trat nach ihm, aber die Ketten waren zu kurz. Der Junge holte mit der Faust aus und schlug ihm in den Magen.
    Als Diego zusammensackte, packte der Junge seinen Kopf, drehte ihn so, dass sein Gesicht dem Folterknecht zugewandt war. Der richtete das Eisen darauf.
    Und stieß zu.
    Diegos Schrei, lang gezogen und gequält, riss mich aus meiner Erstarrung.
    Ich warf mich nach vorn, zwischen Schultern und Arme, aber die Männer, die dort standen, ließen mich nicht durch. Einer drehte sich um und stieß mich zurück, glaubte vielleicht, ich wolle ihm die Sicht auf das Spektakel nehmen.
    Die Menge grölte und pfiff, als der Folterknecht das Eisen von Diegos Wange nahm und sein Werk präsentierte. Die Haut war aufgeplatzt und schwarz verbrannt, der Kreis mit dem eingelassenen Stern deutlich zu sehen.
    Männer warfen Münzen, die der Junge einsammelte. Der Folterknecht ließ Diegos Kopf los. Haltlos sackte er ihm auf die Brust. Er hatte das Bewusstsein verloren, und ich dankte Gott dafür.
    »Was, zum Teufel, machst du denn da?«, schrie eine Stimme rau und auf Deutsch. Drei Männer in Lederrüstung bahnten sich einen Weg durch die Menge. »Zur Schau stellen, hab ich gesagt, nicht umbringen, du dämlicher Narr!«
    Neben dem Pranger blieben die Männer stehen. Einer hob Diegos Kopf am Kinn hoch und sah ihm ins Gesicht. Dann lachte er. »Eines muss man ihm lassen, Ulf. Er weiß, wie man die Leute begeistert.«
    Ulf, der größte und kräftigste der drei, spuckte aus. »Bring ihn wieder in den Käfig. Tot nützt er uns nichts.«
    Der dritte Mann winkte den Folterknecht und den Jungen heran. Gestenreich redeten sie aufeinander ein. Anscheinend ging es darum, wie das Geld aufgeteilt werden sollte.
    Ich beachtete sie nicht weiter. Mein Blick galt Diego. Ulf und der zweite Mann, der kleiner und jünger war als er, lösten Diegos Ketten und warfen ihn in den Käfig auf dem Karren. Einer der vier Ochsen, die davor eingespannt waren, muhte laut.
    Die Menge zerstreute sich rasch, bis nur noch ich dastand.

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