Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
im Dorf besaßen nur die Kleidung, die sie am Leib trugen. Selbst wenn wir es uns hätten leisten können, sie waschen zu lassen, was hätten wir in der Zeit getragen? Wir konnten schlecht nackt wie das Vieh zur Feldarbeit gehen. Ich stellte mir den Anblick einen Moment lang vor, aber das Bild war so unzüchtig, dass ich gleich an etwas anderes dachte.
Wir ließen die Gasse der Wäscherinnen hinter uns. Die Straßen wurden voller und breiter, der Dom rückte näher. Anfangs grüßten wir noch jeden Menschen, der uns entgegenkam, so wie wir es im Dorf gewohnt waren, doch schon bald hörten wir damit auf. Es waren einfach zu viele. Die meisten gingen wortlos aneinander vorbei, die Köpfe gesenkt und mit schnellem Schritt. Selbst dem Dom, der wie ein Wächter über ihnen thronte, schenkten sie keinen Blick.
Ich hingegen konnte mich kaum von ihm abwenden. Als wir in eine schmalere Gasse einbogen und er danach hinter uns lag, drehte ich immer wieder den Kopf. Ich verstand nicht, wie man in dieser Stadt leben konnte, ohne ihn Tag für Tag zu bewundern.
»Man gewöhnt sich an alles«, antwortete die Bäuerin, als ich sie danach fragte. »An das Schöne und das Hässliche.«
Ich glaubte nicht, dass sie recht hatte.
Die Stadt schien kein Ende zu nehmen. Hinter jeder Biegung und jeder Kreuzung folgten nur weitere Häuser und immer mehr Menschen.
Schließlich sahen wir ein steinernes, zweistöckiges Gebäude, vor dem einige Mönche in schwarzen Kutten standen. Sie verteilten Brot aus einem großen Korb an eine Gruppe, die fast genauso aussah wie wir. Pilger.
Vater Ignatius ging schneller. »Georg«, rief er. Einer der Mönche drehte sich um und winkte, als er uns sah. Er gab den Korb einem anderen Mönch, kam auf uns zu und umarmte Vater Ignatius. Sie unterhielten sich einen Moment, dann wandte sich der Priester uns zu.
»Das ist mein Bruder Georg«, sagte er. »In seinem Kloster werden wir bleiben.«
Die Familienähnlichkeit der beiden war unübersehbar. Beide Männer hatten die gleichen Falten um die Augen und den gleichen schmalen Mund. Allerdings war Georgs Gesicht runder, sein Körper voller. Er war gut genährt.
»Ich hoffe, eure Fahrt war angenehm«, sagte er, wartete unsere Antwort jedoch nicht ab, sondern fuhr gleich fort. »Es sind einige Pilgergruppen zum Osterfest bei uns zu Gast, also wird es leider etwas eng.« Er zeigte auf die Menschen, die sich um den Brotkorb drängten. »Diese hier kommt aus Koblenz. Sie sind schon seit Tagen unterwegs.«
Ich wusste nicht, wo Koblenz lag, nickte aber wie alle anderen.
»Wo ist das denn?«, flüsterte die Bäuerin neben mir. Sie hatte meine Hand losgelassen, blieb aber weiter in meiner Nähe.
Bevor ich antworten musste, sagte Georg: »Kommt, nehmt euch Brot. Der Bischof hat es gespendet, möge der Herr ihn dafür segnen.«
Jeder von uns bekam einen Laib. Das Brot war hart, dunkel und alt. Ich legte es in den Beutel zu dem frischen, das Wilhelm mir geschenkt hatte. Mit einem Stich des schlechten Gewissens dachte ich daran, dass es zuhause an diesem Tag kein Brot aus der Burg geben würde und wohl auch nicht am nächsten und übernächsten. Vielleicht sogar nie wieder.
»Du hast heute schon Besseres gegessen, oder?«, fragte Wilhelm leise, als wir Georg, einem anderen Mönch und den fremden Pilgern ins Innere des Klosters folgten. »Bischofsbrot ist nicht so gut wie Müllerbrot.«
Ich verkniff mir ein Lächeln.
Wir gingen durch lange dunkle Gänge, die mit Stroh ausgelegt waren. Überall saßen Menschen, aßen, redeten, tranken. Ziegen liefen zwischen ihnen umher. Es stank nach Schweiß und Unrat.
Unsere Gespräche wurden leiser und verhaltener, je tiefer wir in das Kloster vordrangen. Von außen hatte es hoch, aber nicht groß gewirkt, doch es schien sich weit nach hinten zu erstrecken. Das Stroh dämpfte unsere Schritte. Nur der Hufschlag vom Pferd des Ritters hallte zwischen den Mauern. Von Alen war abgestiegen, hatte aber die Bitte eines Mönchs, das Pferd in die Klosterstallungen bringen zu lassen, abgeschlagen.
Irgendwann trennten wir uns von den anderen Pilgern, bogen nach rechts ab und betraten einen großen Innenhof. Ein Feuer brannte in der Mitte, unter einem breiten Vordach hatte man Stroh ausgebreitet, und unter einem zweiten, kleineren Dach lagen einige Stapel Brennholz. Offene Gänge rahmten den Hof auf allen Seiten ein, und ich sah Mönche hindurchgehen, aber keine Pilger. Tief atmete ich durch. Die frische Luft tat gut.
»Das ist das Beste,
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