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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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beten. Ich fragte mich, ob er wirklich so in sein Gebet vertieft war, dass er uns nicht wahrnahm, oder ob er uns nicht wahrnehmen wollte.
    Von Alen drehte sich zu mir um. »War ein harter Tag und eine lange Nacht«, sagte er. »Da ist ein Mann nicht immer bester Stimmung.« Es klang wie eine Entschuldigung.
    Er sah mich an, als erwarte er etwas, dann griff er in seinen Gürtel und nahm einen kleinen Lederbeutel heraus. Mit seinen zitternden Fingern zog er ihn auf.
    »Hier«, sagte er. In seiner ausgestreckten Hand lag ein halber Pfennig. »Für deine Hilfe.«
    Ich griff so vorsichtig danach, als läge die Münze im Maul eines Bären. Bis zuletzt glaubte ich, er würde seine Hand wegziehen, aber das tat er nicht. Ich schloss die Faust um den halben Pfennig. Das Herz klopfte mir bis in die Kehle.
    »Danke, Herr.« Ich knickste tief.
    Von Alen räusperte sich. »Gib nicht …«, begann er, doch dann lenkte ein Geräusch ihn ab.
    Zwei Mönche trugen einen großen Eimer voll mit Wasser in den Innenhof, ein dritter rollte ein Fass vor sich her.
    »Ah, der Wein.« Von Alen lachte und applaudierte den Mönchen. Seine Stimmung schien von einem Atemzug zum nächsten umzuschlagen, so wie das Wetter im April. Er machte mir Angst.
    Ich nutzte seine Unaufmerksamkeit und ging zurück zu den anderen. Der halbe Pfennig lag hart und heiß in meiner geballten Faust. Mir wurde beinahe schwindelig, wenn ich daran dachte, was man damit alles kaufen konnte. Schuhe, Saatgut, Geschenke für meine Söhne. Ich beschloss, den Ritter in jedes meiner Gebete einzuschließen, so lange ich lebte. Vielleicht hatte Gott mich zu ihm geführt, damit jemand für ihn betete. Ich nahm an, dass das nicht allzu viele taten.
    Während sich der Ritter mit dem Fass zurückzog und zu trinken begann, versammelten wir uns um Vater Ignatius.
    Ich erwartete, dass er etwas zu von Alen sagen würde, aber stattdessen setzte er sich mit uns ans Feuer und erzählte die Geschichte vom letzten Abendmahl. Es gab wohl keinen in der Runde, der sie nicht schon ein Dutzend Mal gehört hatte, aber Vater Ignatius war ein guter Erzähler. Seine Stimme hallte von den Mauern wider. Sie brach, als er über Judas’ Verrat sprach, und als er schließlich zur Kreuzigung kam, begann er zu weinen.
    Ich sah in den dunklen Himmel. Es wurde Nacht über Köln. Meine erste Nacht außerhalb von Winetre hatte ich mir anders vorgestellt, aufregender, fremder. Doch das Stroh unter meinem Körper roch wie das Stroh in unserer Hütte, und das Bier, das Georg uns vorbeibrachte, als er von Alen zum Mahl mit dem Abt abholte, schmeckte nicht anders als auf der Burg.
    Irgendwann wischte sich Vater Ignatius die Tränen von den Wangen und lächelte. »Wir sollten uns schlafen legen. Die Ostermesse beginnt zwar erst nach Sonnenuntergang, aber wir müssen uns früh vor dem Dom versammeln, wenn wir noch hineingelassen werden wollen. Der Andrang wird groß sein.«
    Die ältere Bäuerin hob die Hand. »Ich würde gern morgen früh Stoffe kaufen. Dafür ist doch Zeit, oder?«
    »Und ich möchte meine Söhne besuchen«, fügte ich rasch hinzu.
    Vater Ignatius verzog die Mundwinkel, als wäre ihm das nicht recht, aber Wilhelm mischte sich im gleichen Moment ein. »Ich habe auch noch Besorgungen zu erledigen«, sagte er. »Ich kann die Frauen begleiten und dafür sorgen, dass ihnen nichts zustößt.«
    Als Müller hatte seine Stimme Gewicht im Dorf. Dem konnte Vater Ignatius sich nicht verschließen. Es gefiel ihm zwar nicht, das konnte ich sehen, doch er stimmte nach kurzem Zögern zu. »Also gut. Aber spätestens gegen Mittag will ich euch am Dom sehen, hört ihr? Darauf musst du mir dein Wort geben, Wilhelm.«
    »Das tue ich.«
    Ich atmete auf. Bis zu diesem Moment hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wie ich Hugo und Konrad finden würde, aber die Sicherheit, nicht allein durch die große Stadt gehen zu müssen, war beruhigend. Mit einem Mann an der Seite war vieles einfacher.
    Ungewollt tauchte der Gedanke an Josef in meinem Geist auf. Er würde mich wohl nicht mehr wollen, wenn ich zurückkehrte. Wahrscheinlich würde mich niemand mehr wollen, weder mein Herr auf der Burg noch die anderen Mägde oder die Menschen im Dorf. Mit meinem Ungehorsam hatte ich Schande über uns alle gebracht. Wahrscheinlich würde ich als Frau eines Pferdeknechts enden oder – Gott bewahre – eines Köhlers. Ich schüttelte mich innerlich.
    Wir sprachen ein letztes Nachtgebet – ich schloss den Ritter mit ein –, dann

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