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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Wahnsinn, ein ganzes Leben aufwog.
    »Ihr geht jetzt besser«, sagte Georg an Vater Ignatius gewandt. »Der Abt soll euch nach dem Frühstück nicht mehr hier sehen.«
    »Selbstverständlich. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.«
    Der Mönch verzog nur das Gesicht.
    Wir packten unsere Sachen zusammen, während zwei andere Mönche einen Karren in den Hof schoben, die Leiche darauf legten und mit Stroh bedeckten. Wir folgten ihnen durch die Gänge in einer stummen Prozession wie auf einer Beerdigung. Ich stellte mir vor, dass es eine war.
    Irgendwann bogen sie ab. Wir gingen weiter, bis wir auf der Straße vor dem Kloster standen. Dort warf sich Vater Ignatius sein Bündel über die Schulter und winkte uns heran.
    »Wir werden kein neues Quartier finden«, sagte er. »Nicht zu Ostern und vor allem nicht umsonst. Deshalb habe ich beschlossen, dass wir morgen früh nach dem Ende der Ostermesse zurück nach Winetre fahren. Wir können auf dem Boot schlafen, wenn dann jemand gewillt ist, uns mitzunehmen.« Er kratzte sich am Kopf und seufzte. »Ihr habt euch diese Reise sicher anders vorgestellt. Es tut mir leid.«
    Schon morgen. Ich hatte geglaubt, mir würde noch ein Tag bleiben, bevor ich mich dem stellen musste, was mich zuhause erwartete. Angst breitete sich in meinem Magen aus, und mir wurde übel. Die anderen Pilger wirkten eher erleichtert als enttäuscht. Der Tod des Ritters hatte uns alle verstört.
    »Folgt mir.« Vater Ignatius straffte sich. »Ich werde euch die Heiligen Drei Könige zeigen, damit ihr auf andere Gedanken kommt.«
    Ich wollte dagegen aufbegehren, aber Hildegard kam mir zuvor. »Was ist mit den Stoffen, die ich kaufen wollte?«
    Der Priester schüttelte den Kopf. »Ihr habt Schreckliches erlebt. Der Anblick der Reliquien und die anschließende Beichte bei mir werden sicher mehr für dein Seelenheil tun als ein paar Stoffe.«
    »Aber …«
    »Du musst deine Seele reinigen.« Vater Ignatius wurde vehementer, wütender. »Oder willst du, dass sich der Teufel in dem Dreck, der nun dort klebt, festkrallt?«
    »Nein, natürlich nicht.« Hildegard wirkte entsetzt. »Das war dumm von mir, entschuldige.«
    Der Blick des Priesters streifte mich herausfordernd, aber ich wich ihm aus. Er nickte scheinbar zufrieden und drängte sich an uns vorbei. Wir machten ihm Platz. »Kommt.«
    Wir gingen durch dieselben Straßen, die wir einen Tag zuvor benutzt hatten. Ich hatte den Eindruck, dass Vater Ignatius keine anderen kannte.
    Die Stadt hatte sich verändert. Menschen drängten sich zwischen den Häusern. Überall saßen Bettler und streckten uns Arm- und Beinstümpfe entgegen oder zeigten uns leere Augenhöhlen. Händler lockten uns mit in Öl gebackenen Fladenbroten, Nüssen, Honiggebäck und süßem Wein. Überall roch es nach Essen.
    Die Übelkeit verschwand aus meinem Magen. Bohrender Hunger trat an ihre Stelle. Noch nie hatte ich so viel Essen gesehen, das nicht für Herrschaften bestimmt war. Jeder konnte es kaufen, wenn er Geld hatte. Es gab keine Einschränkung.
    Ich ließ mich zurückfallen. Hildegard, die mir sonst nicht von der Seite wich, ging neben Vater Ignatius her, wahrscheinlich, um seinen Zorn auf sie zu mildern. Die anderen Pilger beachteten mich kaum. Schließlich war ich die Letzte in der Gruppe.
    Ich fragte mich, ob es so einfach werden würde, wie ich es mir vorstellte. Auf eine belebte Kreuzung warten, nach rechts abbiegen, während alle anderen geradeaus gingen, und in der Menge verschwinden. Wenn ich später zur Messe kam, würde ich behaupten, von den anderen getrennt worden zu sein. Es war eine Lüge – erneut –, aber ich sah keine andere Möglichkeit.
    »Möchtest du etwas?« Wilhelms Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich ebenfalls hatte zurückfallen lassen.
    Rasch schüttelte ich den Kopf. Der Hunger verschwand so schnell, wie er gekommen war. Überrascht sah ich, dass der Dom deutlich näher gerückt war. Es war nicht mehr weit bis zu unserem Ziel.
    »Keine getrockneten Früchte?« Wilhelm lächelte. »Oder Mandelmilch?«
    »Nein.«
    Meine Einsilbigkeit vertrieb ihn nicht. »Ich kaufe sie dir. Es ist Ostern. Da sollte man sich etwas gönnen, was es nicht jeden Tag gibt.«
    Wir gingen auf eine Kreuzung zu. Zwei Pilgergruppen waren dort aufeinandergetroffen und unterhielten sich lautstark in einer Sprache, die ich nicht verstand. Vater Ignatius versuchte sich einen Weg hindurchzubahnen. Er achtete nicht auf die, die hinter ihm gingen.
    »Ich

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