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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Päpste erzählte und die Gräuel der Sarazenen mit einer Leidenschaft schilderte, als könne uns nur sein Wort vor der Hölle bewahren, die vor uns lag. Schließlich erinnerte er uns an unsere Pflichten, an die Aufgaben eines jeden Standes, die erfüllt werden mussten, damit die Welt nicht ins Chaos stürzte. Dem Bauern stand das Pferd nicht zu, dem Ritter nicht die Scholle. Konnten wir denn nicht verstehen, dass die natür liche Ordnung der Dinge ins Wanken geriet, wenn der eine sich die Aufgaben des anderen anmaßte? War es nicht, als wolle ein Vogel im Wasser leben und ein Fisch die Lüfte durchstreifen?
    Er war ein guter Redner, besser als Nicolaus, viel besser als Vater Ignatius.
    »Ihr habt das Gelübde des Kreuzfahrers abgelegt«, sagte er am Ende seiner Rede. »Nur dem Papst steht es zu, euch davon zu befreien. Aber ich kann dafür sorgen, dass er von eurem Schicksal erfährt. Er wird sich gnädig zeigen, so wie der Herr es tun würde, dessen bin ich mir sicher. Deshalb bitte ich all die, denen ich die Augen geöffnet habe, die dem falschen Propheten nicht länger folgen wollen, vorzutreten. Gottes Gnade ist euch gewiss.« Er faltete die Hände, als wolle er beten.
    Nicolaus stand neben ihm am Boden, klein und mager. Trotzdem schien er ihn zu überragen. Ich sah mich um. Die Menschen des Lagers wirkten wie Mauerwerk, undurchdringlich und stark. Niemand bewegte sich. Nein, das stimmte nicht. Einer schob sich durch die Menge. Es war der Dieb mit dem Brandmal auf der Wange, der in Köln den Eid abgelegt hatte. Sein Name war Ott. Er trat vor das Fass und hob den Kopf, sah Priester Aßmus in die Augen und sagte laut: »Leck … mich … am … Arsch!«
    Wir alle lachten, selbst Lukas. Nur Nicolaus reagierte nicht. Der Priester blinzelte, warf einen unsicheren Blick zur Stadt wache, aber der Hauptmann hob nur die Schultern.
    »Du weißt, dass ich dich dafür an den Pranger bringen könnte«, sagte der Priester.
    Ott zog die Nase hoch. »’nen Dreck kannst du. Ich bin Kreuzfahrer. Ich könnte dir auf die Schuhe scheißen und dabei ›Halleluja‹ rufen, und mir würde nichts passieren!«
    Applaus kam auf. Die Menge, darunter auch meine Söhne, johlte und klatschte. Ott sprach aus, was wir alle dachten.
    Priester Aßmus neigte den Kopf. »Ich verstehe«, sagte er und dann so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte: »Ihr tut mir leid.«
    Er stieg vom Fass und ging durch das Tor, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die anderen Priester schlossen sich ihm an, bildeten hinter ihm einen breiten schwarzen Vorhang.
    Wir klopften Ott auf die Schultern und feierten ihn bis spät in die Nacht, während Nicolaus am Rande des Lagers stand und mit den Menschen sprach, die sich aus der Stadt geschlichen hatten, um ihn reden zu hören.
    Als wir am nächsten Morgen aufbrachen, waren wir mehr als je zuvor.

Kapitel 8
    In jedem Ort, jeder Stadt, jedem Dorf schlossen sich uns neue Mitstreiter an. Die meisten waren arm, hatten kaum mehr als die dutzendfach geflickte Kleidung, die sie am Leib trugen.
    In Walresheim trafen wir jedoch auf einen alten, wohlhabenden Bauern, der uns die Hälfte seiner Kühe und ein paar Schafe schenkte, damit wir seinen schwachsinnigen Sohn mitnahmen. Der Junge, körperlich längst ein Mann, hatte einen eingedrückten krummen Kopf und lallte wie ein Kleinkind. Nicolaus nahm ihm das Gelübde ab, obwohl uns allen klar war, dass der Bauer nicht auf das Seelenheil seines Sohns bedacht war, sondern nur verhindern wollte, dass er seinen Hof erbte. Ich nahm an, dass es noch einen zweiten, normalen Sohn in der Familie gab.
    »Verständlich«, sagte Diego, als wir abends Wasser aus dem Rhein schöpften, »wenn auch nicht sehr christlich.«
    Er hatte recht, trotzdem begrüßten alle die Entscheidung des Bauern. Das Vieh gab Milch für die Kleinkinder und alten Leute und würde uns, das hatte Diego selbst gesagt, in den Bergen, die vor uns lagen, mit Fleisch versorgen. Dort, in dem Gebirge, das er Alpen nannte, würde es im Winter so kalt, dass Menschen, die ihre Hütten verließen, im Stehen erfroren. Ich hielt das für übertrieben, schließlich hatte ich mein ganzes Leben am Fuße des Siebengebirges verbracht, und dort war niemand auf diese Weise ums Leben gekommen. Trotzdem war ich froh, als er hinzufügte, dass wir die Berge noch im Sommer überqueren würden.
    Anfangs saß Diego nachts allein an einem kleinen Feuer, doch je länger die Reise andauerte, desto mehr Kinder scharten sich um ihn. Cornelius war der

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