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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wussten, dass ich sie zurück zum Feuer schicken würde.
    Dafür sah ich Antonias etwa gleichaltrige Schwester und ihre beiden kleinen Brüder. Antonias Schwester – ihr Name war Elisabeth – starrte entsetzt, die beiden Jungen, beide zwischen zehn und zwölf, drückten sich an sie und begannen zu weinen.
    Als Rüdiger seine Geschichte beendet hatte, fuhr sich Nicolaus müde mit der Hand durchs Gesicht. »Ich werde den Engel um Vergebung bitten«, sagte er leise zu Lukas. »Kümmere du dich um die Sünder.«
    »Das werde ich.«
    »Warte.« Ich trat vor, aber Nicolaus winkte ab, ohne sich umzudrehen, und die Lücke in der Menge schloss sich hinter ihm.
    Lukas ging langsam um Antonia und Bernhard herum. Sie weinte leise, er hockte stumm neben ihr am Boden. Blut tropfte aus seiner Nase ins Gras.
    »Ihr habt ein heiliges Versprechen gebrochen, einen Schwur, den ihr vor Gott selbst geleistet habt«, rief Lukas so laut, dass es alle hören konnten. »Verdammt seid ihr dafür, verdammt bis ans Ende der Zeit! Verdammt!«
    »Verdammt! Verdammt! Verdammt!« Die Menge wurde zum Chor, wiederholte das Wort wieder und immer wieder. Antonia brach zitternd zusammen. Bernhard legte die Arme um sie, vergrub den Kopf in ihrer Halsbeuge.
    Lukas ging neben ihnen in die Hocke. »Aber wisst ihr, was noch schlimmer ist?«, sagte er leiser. Der Chor erstarb. Die Menge rückte näher heran. »Dass eure Unzucht euch wichtiger war als die Befreiung des Heiligen Grabs.«
    Seine Hand schoss vor, griff in Bernhards Haare und riss seinen Kopf zurück. Der Junge schrie auf.
    »Dein Schwanz«, brüllte Lukas, »hat nicht nur die Hure neben dir besudelt, sondern den ganzen Kreuzzug!«
    Er stieß Bernhard zurück und spuckte ihm ins Gesicht.
    »Hure!«, schrie Rüdiger. Sein Speichel traf Antonias Schulter.
    Die Umstehenden nahmen die Schreie auf, spuckten und schimpften, schrien und fluchten.
    »Hört auf!« Ich versuchte, mich zwischen die Menge und die beiden Sünder zu drängen. »Lukas! Hör auf damit!«
    Er wandte den Kopf und sah mich an. Sein Gesicht hatte einen merkwürdigen Ausdruck angenommen, so wie jemand, der plötzlich etwas begriff, was ihm zuvor verborgen gewesen war.
    »Nein«, sagte er. »Du bist Nicolaus’ Seele, nicht die meine.«
    Er hatte recht. Ich musste mit Nicolaus sprechen, nicht mit Lukas. Ich drängte mich durch die Menge, doch eine Hand zog mich zur Seite. Im ersten Moment wollte ich mich losreißen, doch dann erkannte ich, dass es Diego war, der mich aus der Menge zerrte.
    »Hast du Nicolaus gesehen?«, fragte ich.
    »Lass geschehen, was geschehen muss.«
    »Was?«
    Diego wiederholte nicht, was er gesagt hatte.
    Ich fuhr mir durch die Haare. »Das Mädchen … Erinnerst du dich an die Frau in Bonn, die uns ihre Kinder brachte? Das ist eine ihrer Töchter, die dort bespuckt wird. Ich habe der Frau versprochen, dass es ihr bei uns gutgehen würde.«
    Ich wandte mich um, suchte mit meinen Blicken Elisabeth, Antonias Schwester, konnte sie aber nicht mehr entdecken. Sie musste ihre weinenden Brüder weggeschafft haben, damit sie das erniedrigende Spektakel nicht weiter mit ansehen mussten.
    »Du hast dein Versprechen nicht gebrochen, das Mädchen seines schon.« Diego sah sich um, als wollte er nicht, dass uns jemand zuhörte. »Du wirst niemandem helfen, wenn du dich zwischen Nicolaus und Lukas stellst.«
    »Nicolaus nannte mich seine Seele. Er verlässt sich auf mich.«
    »Bis ihm der Engel sagt, er soll es bleiben lassen.«
    Ich wollte Diego fragen, was er damit meinte, da erklang Lukas’ Stimme.
    »Ruhe!«, schrie er. Dreimal musste er den Befehl wiederholen, bis die letzten Rufe verstummten. Ich drehte mich um, sah aber nichts außer die Rücken und Köpfe der Menschen. Im Zwielicht des frühen Morgens wirkten sie alle grau.
    »Eine Bestrafung soll das begangene Verbrechen widerspiegeln, so will es der Herr«, rief Lukas. »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Applaus kam auf. Von Antonia und Bernhard war nichts zu hören.
    »Willst du wirklich bleiben?«, fragte Diego.
    Ich nickte.
    Er verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich neben mich, eher wie ein Bewacher als ein Wächter. »Wenn du meinst.«
    »Wie Tiere haben sie ihre Unzucht im Wald getrieben«, fuhr Lukas fort. »Unter den Augen des Herrn zogen sie sich aus und brachen das Gelübde, das sie ihm gegeben haben.« Er wartete, bis sich Flüche und Beschimpfungen gelegt hatten. »Sie sind es nicht länger wert, an unserer Seite am Feuer zu sitzen, mit uns

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