Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
starrten in den Himmel. Konrad wandte sich ab, ohne dass ich etwas sagen musste.
»Wo sind die Kinder?«, fragte Lena, den Blick auf ein einfach geschnitztes Pferd gerichtet, das inmitten eines Hufabdrucks lag.
»Sie opfern sie dem Teufel.« Gottfried scharrte das Pferd mit dem Fuß zu, als wolle er es begraben. »Dann können die Pfeile der Soldaten sie nicht mehr treffen.«
»Sie verkaufen sie«, sagte Diego hinter mir. Ich drehte mich um und sah, dass er sein Pferd an den Zügeln führte. »Reiche Bauern zahlen gut für Kinder, wenn sie gesund und stark sind.«
Gottfried stemmte seinen gesunden Arm in die Hüfte. »Blödsinn. Kein Christ würde einen anderen kaufen.« Er zögerte, als überlege er, ob es klug war fortzufahren, dann tat er es. »Juden hingegen, nun, bei denen ist das anders. Die stehlen Kinder von Christen, weshalb sollten sie nicht auch welche kaufen?«
Diego sah ihn an. Sein Gesicht war so reglos, dass es wie ein Gemälde wirkte. »Ja, weshalb eigentlich nicht?«
Ein merkwürdiger Tonfall lag in seiner Stimme. Gottfried wirkte unsicher. Er runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
Diego antwortete nicht. Er schwang sich in den Sattel und ritt auf Gottfried zu, gerade so schnell, dass der alte Mann hastig ausweichen musste.
Ich weiß nicht, woher die Klinge stammte, die plötzlich in Diegos Hand lag. Es war dieselbe, mit der er uns bei dem Überfall in Speyer verteidigt hatte. Er holte aus. Gottfried hob den Arm und krächzte etwas, das ich nicht verstand. Im nächsten Moment war Diego bereits an ihm vorbei.
Die Klinge schnitt durch die Stricke, an denen die beiden Toten hingen. Die Männer fielen in den Sand. Ein Schwarm Fliegen, der auf ihnen gesessen hatte, flog auf und ließ sich dann wieder nieder.
»Dass wir nicht reden, sondern eure Christen begraben sollten. Das soll das heißen«, rief Diego grimmig.
Ich sah mich um. Gottfried war zu verstört, um zu begreifen, was Diego da gesagt hatte, die anderen, Konrad, Erik, Lena und ein paar Soldaten, würden daraus kaum die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Vielleicht gelang es Diego, sein Geheimnis noch einige Tage vor dem Rest des Kreuzzugs zu verbergen, doch Gottfried würde bestimmt dafür sorgen, dass es sich schnell he rumsprach. Dass er es bisher noch nicht getan hatte, führte ich auf einen Befehl Nicolaus’ zurück. Es gab keine andere Erklärung.
Wir begruben die drei Menschen, Nicolaus sprach ein kurzes G ebet, dann ließen wir den Hof hinter uns. Es wurde langsam dunkel, aber keiner von uns wollte dort lagern.
Schließlich, als wir die, die vor und hinter uns gingen, nicht mehr sehen konnten, ließen wir uns einfach zwischen den Bäumen nieder. Die breiten Baumkronen verbargen den Nachthimmel vor uns. Es roch nach Harz und Moos. Der Wald war so trocken, dass wir es nicht wagten, Feuer zu entzünden.
Von einem der Vorratskarren besorgte ich ein wenig Dörrfleisch und Bier für Konrad und mich. An einen Baumstamm gelehnt aßen wir. Wir hatten nicht genug, um satt zu werden, aber ich war es gewohnt, hungrig einzuschlafen.
»Mama«, flüsterte Konrad, als ich gerade die Augen schloss. »Was ist eine Judenhure?«
Der Schreck war scharf wie Schmerz. Ich biss mir auf die Lippen. »Wieso fragst du das?«, flüsterte ich zurück.
»Weiß nicht, nur so.« Es raschelte neben mir, als sich Konrad in seinen Umhang einwickelte.
»Hat jemand das Wort gesagt?«
»Ja. Er hat Gottfried was erzählt, hörte aber auf, als er mich sah. Ich hab nur das Wort gehört.«
Mein Herz pochte bis in meine Kehle. »Und wer hat’s gesagt?«
Konrad gähnte. »Lukas.«
Ich lag wach, bis sich der Himmel über uns grau färbte.
Wir brachen rasch auf am nächsten Morgen, konnten es kaum erwarten, die Enge des Waldes zu verlassen. Sonnenlicht tauchte die Bäume und Sträucher in ein seltsam weiches, schwaches Licht. Stimmen klangen gedämpft, selbst das Knacken der Zweige unter unseren Füßen war kaum zu hören. Mücken tanzten in den Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach bis auf den Boden fielen. Der Weg war schmal, die Karren passten nur knapp darauf. Der Kreuzzug war ein nicht enden wollendes Band aus Köpfen und Schultern, das sich vor und hinter mir erstreckte; ich wusste nicht, wie weit.
Ab und zu hielt ich nach Diego Ausschau, aber wegen der tief hängenden Äste führte der sein Pferd wohl am Zügel, denn ich sah ihn selbst von den Hügelkuppen nicht. Die Angst machte mich unleidlich. Zweimal blaffte ich Konrad wegen einer
Weitere Kostenlose Bücher