Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Ignatius beschrieben hatte, sondern teuflische, viehische Begierde. Schuld und Scham über kamen mich.
Etwas musste sich in meinem Gesicht verändert haben, denn Diego senkte den Kopf, trat seinem Pferd leicht in die Flanke und wandte sich ab. Ich sah ihm nach, bis mich laute Rufe ablenkten.
Konrad zeigte aufgeregt auf das Kloster. Das Feuer hatte sich über das gesamte Dach ausgebreitet und ergriff nun auch das gewaltige dreimal mannshohe Kreuz. Es kroch an dem Holz hi nauf, schlängelte sich um den Querbalken und leckte züngelnd an der Spitze.
Um mich herum knieten Menschen nieder. Einige beteten, aber die meisten starrten nur stumm und mit gefalteten Händen auf das brennende Kreuz. In ihren Gesichtern las ich Schuld und Reue. Ich kniete ebenfalls, dann auch Konrad und Hugo.
Die Flammen schlugen immer höher, bis das Holz unter ihnen verschwand und nur noch ein feuriges Fanal am dunklen Himmel hing.
Ich hob den Blick, als Nicolaus an mir vorbeiging. Vor dem Tor blieb er stehen, steckte den Schäferstab in den Boden und breitete die Arme aus, den Kopf in den Nacken gelegt. Nimm mich, schien er sagen zu wollen, nimm mich anstelle meiner Herde.
Es krachte. Holz barst und zerplatzte. Brennende Splitter schossen wie Sternschnuppen durch die Luft. Und dann kippte das Kreuz. Zuerst langsam, dann immer schneller neigte es sich zur Seite. Flammen zischten und fauchten, spien Funken und Rauch. Es war, als bestünde das Dach aus Wachs, in dem das Kreuz versank. Doch dann knallte es so laut und tief, dass mein Körper erbebte.
Eine Kugel aus Feuer, Rauch und Trümmern, größer als die Sonne, schoss aus dem zerstörten Gebälk. Sie fauchte Nicolaus entgegen, schneller als alles, was ich je gesehen hatte, schneller als ein Falke, schneller als ein galoppierendes Pferd, schneller, als Regen aus dem Himmel fiel. Die Wolke quoll durch das Tor, hüllte Nicolaus ein. Funken glühten darin wie die Augen einer Bestie.
Wir schrien auf. Ich wandte den Kopf ab, als Asche uns entgegenwehte. Alle knieten am Boden, niemand stand, nur weit entfernt, fast am Fuße des Hügels, inmitten betender Kreuzritter, sah ich einen Reiter. Es war Diego. Er hatte sein Pferd gezügelt und wandte dem Kloster den Rücken zu, so als interessiere ihn nicht, was dort geschah.
Ich sah zurück zum Tor. Die Wolke löste sich allmählich auf. Asche regnete auf uns nieder, Funken stiegen in den Himmel. Ich biss mir auf die Lippen, Konrads Hände verkrampften sich, Hugo zitterte.
Eine Gestalt tauchte im Rauch auf. Ich sah ausgestreckte Arme und ein Hemd, in das Funken faustgroße Löcher gebrannt hatten. Nicolaus’ Gesicht war immer noch dem Himmel zugewandt, aber Asche und Staub bedeckten es. Er drehte sich um und neigte den Kopf. Ich konnte sehen, dass er unverletzt war.
Jubel wurde laut, Menschen stießen Dankgebete aus.
Nicolaus nahm den Schäferstab und hob erneut die Arme. Der Jubel erstarb. Nur das Fauchen des Feuers war zu hören.
»Uns ist vergeben«, rief er.
Ich war nicht die Einzige, die weinte.
Kapitel 15
Es gefiel Gott, Rudolf nicht wieder gehen zu lassen. Der Knecht starb vier Tage nach dem Feuer, schreiend und wimmernd, gezeichnet vom Fieber.
Wir wussten nicht genau, wie viele im Feuer umgekommen waren. Es waren mindestens zwanzig, vier davon Mönche. Die überlebenden schlossen sich uns bis zu einem Ort namens Basel an. Sie hofften, dort in einem Benediktinerkloster unterzukommen. So wie wir betrachteten sie das Feuer als eine Strafe Gottes.
Wir alle hatten an diesem Abend gesündigt, hatten der Völ lerei, der Trunkenheit und der Unzucht gefrönt. Das Feuer hatte uns gereinigt, und durch Nicolaus’ mutige Tat wurden wir wieder in die Gnade Gottes aufgenommen. Wir spürten es, sahen die Zeichen. Die Kranken erholten sich, die Wunden der Verletzten – außer denen, deren Sünden zu schwer gewesen waren – verheilten. Es wurde wärmer, und die wenigen Wolken, die wir sahen, zogen über den Kreuzzug hinweg, ohne Regen zu bringen. Uns war vergeben.
Wir taten alles, um uns diese Gnade zu erhalten. Jeden Tag beteten und fasteten wir. Nicolaus nahm uns wieder die Beichte ab. Einige Male fragte er, ob auch ich beichten wolle, aber ich fand stets eine Ausrede.
Nicht nur ich schreckte vor der Beichte zurück. Auch Cornelius trat nie vor, wenn Nicolaus uns zusammenrief. Da er sonst jede Gelegenheit wahrnahm, um Aufmerksamkeit zu erregen, wunderte mich das.
Diego nahm an keiner Beichte teil, auch nicht als Zuschauer. Während wir dem
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