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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Kleinigkeit an, bevor er mich allein ließ und mit Erik weiter nach vorn lief. Es tat mir leid, aber ich konnte nichts daran ändern. Meine Gedanken verliefen im Kreis und kehrten jedes Mal zu diesem einen Wort zurück: Judenhure.
    Am späten Vormittag lichtete sich der Wald endlich. Aus B äumen wurden hohe Sträucher. Einige Mädchen verließen den Weg, um die Beeren, die daran hingen, in Körben zu ernten. Der Kreuzzug wurde langsamer, kam fast zum Stehen.
    »Was ist denn los?«, fragte ich.
    Lena drehte sich einige Schritte vor mir um. »Die dort vorn gehen nicht weiter.«
    »Warum denn nicht?« Ich schob mich an Kindern und Frauen vorbei, dann auch an Lena. Mehr als einen Steinwurf von ihr entfernt stand ein Karren voll mit Mehlsäcken, der von einem Ochsen gezogen wurde. Ein kleiner Junge saß darauf. Er blickte starr nach vorn. Die Zügel hingen locker in seinen Händen. Der Ochse hatte den Kopf zur Seite gedreht und fraß Blätter von einem Zweig. Der Weg vor ihm war frei.
    »Warum fährst du nicht weiter?«, fragte ich den Jungen viel herrischer, als ich gewollt hatte, aber er sah mich nicht einmal an. Ich drehte den Kopf, folgte seinem Blick – und erstarrte.
    Der Atem wich aus meiner Kehle. Was ich da sah, konnte es nicht geben. Es war zu hoch, zu groß, zu viel.
    Wie eine gewaltige Wand aus Fels, Eis und Schnee ragte das Gebirge empor. Seine Gipfel schienen am Himmel zu kratzen.
    »Leben dort oben Engel?«, fragte der Junge neben mir.
    Es wurde still im Kreuzzug. Einige bekreuzigten sich, manche flüsterten »O Gott«. Keiner von uns hatte geahnt, was das Wort Alpen bedeutete. Ich erinnerte mich an meine Ungläubigkeit, als Diego behauptete, die Alpen würden den Himmel berühren. E inen solchen Ort hatte ich mir nicht vorstellen können, und es erschien mir unpassend, dass man ihn mit derselben Bezeichnung bedachte wie die Berge, auf denen Burg Drachenfels lag. Die Alpen waren kein Gebirge , sie waren der gewaltige, beängstigende Beweis für die unendliche Macht des Schöpfers.
    Ich ging auf die Knie, und um mich herum taten es mir Menschen gleich, ohne dass sie jemand dazu aufgefordert hatte. Ich faltete die Hände zum Gebet, aber im Angesicht der Berge erschien mir jeder Gedanke unerheblich und jedes Wort zu winzig und leise, um im Himmel gehört zu werden. Also kniete ich auf den Mehlsäcken und schwieg.
    Nach einer Weile tauchte Lukas vor uns auf. Er klatschte in die Hände. »Weiter!«, rief er. »Der Tag ist noch jung!«
    Zögernd standen wir auf, setzten uns wieder in Bewegung. Lukas’ Blick streifte mich, aber ich konnte in seinem Gesicht keinen bestimmten Ausdruck erkennen.
    Der Junge ließ die Zügel knallen. Ich sprang vom Karren, als sich der Ochse schnaufend in Bewegung setzte, und ging zu Lena, die sich den Staub aus dem Rock klopfte. Sie wirkte verstört und ängstlich.
    »Wie sollen wir diese … Alpen …«, der Name schien ihr nicht über die Lippen kommen zu wollen, »… überqueren? Sieh doch, sie ragen bis in den Himmel. Gott wird uns niederstrecken, wenn wir es wagen, ihm so nahe zu kommen.«
    »Die Pässe führen doch nicht über die Gipfel«, sagte ich, obwohl ich das nicht genau wusste. »Viele Menschen benutzen sie, ohne sich den Zorn Gottes zuzuziehen.«
    Lena war nicht überzeugt. »Wer weiß, ob das stimmt.«
    Wir redeten wenig nach diesen ersten Worten. Das Gebirge schüchterte uns ein. Es war, als würde es unseren Gesprächen lauschen und über jeden Satz ein Urteil fällen. Andere mussten es ähnlich empfinden, denn die wenigen Unterhaltungen, die ich hörte, wurden geflüstert.
    Der Weg brachte uns von den Hügeln hinunter zurück zur Hauptstraße. Sie führte an einem großen See entlang. Sonnenstrahlen glitzerten auf tiefblauem Wasser. Ich sah Boote, auf denen Fischer standen und Netze auswarfen. Vögel kreisten über ihnen. Dörfer lagen am Seeufer, eingerahmt von Hügeln, so als wollten die Menschen, die dort lebten, sich vor dem Gebirge verstecken. Eine leichte Brise trocknete den Schweiß auf meiner Stirn.
    »Ich würde am liebsten hierbleiben«, sagte Lena. Ihr Blick hing an den Booten auf dem Wasser. »Einen guten Mann finden, heiraten, ihm ein paar Kinder gebären und in Frieden alt werden.«
    »Und was ist mit dem Gold, mit dem man uns nach der Befreiung Jerusalems überschütten wird?«
    Es waren ihre eigenen Worte gewesen, aber Lena drehte nur kurz den Kopf in Richtung der Alpen, dann hob sie die Schultern. »Sollen sie eine andere damit

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