Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
dem Kreuz auf dem First entgegen, und Stroh regnete brennend auf den Hof. Rauchschwaden hingen in der Luft, reizten Augen und Kehle. Ein nackter Mann schlug hart auf einem der Tische auf. Die Knochen in seinen Beinen bohrten sich durch die Haut wie berstendes Holz. Er schrie und kreischte. Ich erkannte ihn. Es war Rudolf, der Knecht des Händlers, dem wir die Waren abgenommen hatten.
Ich sah nach oben. In dem Fenster, aus dem er gesprungen sein musste, stand ein zweiter, ebenfalls nackter Mann. Als er sah, was mit Rudolf geschehen war, verschwand er.
Ich ergriff Konrads Hand und drehte mich zu den anderen beiden Jungen um, die unter dem Tisch hockten. Das Feuer spiegelte sich in ihren aufgerissenen Augen.
»Bleibt bei mir«, sagte ich. Gemeinsam liefen wir über den Hof. Cornelius hielt sich mit der Hand an meinem Rock fest, Erik an Konrads Umhang. Ich rief nach Hugo. Rauch biss in meine Augen, Funken stachen wie Insekten in mein Gesicht. Wir klopften sie uns gegenseitig aus der Kleidung.
Rudolfs Kreischen wurde nicht leiser. Ich hatte noch nie einen Menschen so schreien gehört.
Wir liefen auf das Tor zu. Durch den Rauch sah ich Diego und einen Mönch vor den Ställen stehen. Im nächsten Moment galoppierten Pferde über den Hof, sprangen über Tische und warfen Bänke um. Ich drückte mich mit den Kindern gegen eine Mauer. Die Pferde stürmten an uns vorbei wie Geister im Nebel.
»Hugo!« Meine Rufe gingen im Wiehern der Pferde, im Schreien der Menschen und im Fauchen des Feuers unter, trotzdem gab ich nicht auf.
»Da ist er«, sagte Konrad plötzlich. Er zeigte in Richtung der Tische. Ich sah Hugo aus dem Rauch auftauchen. Er hatte sich Rudolf über die Schultern geworfen. Blut tropfte von dessen F üßen. Er hatte aufgehört zu schreien. Hugo schien das Gewicht des Mannes nicht zu spüren. Mit langen Schritten ging er auf uns zu.
»Wo ist Nicolaus?«, fragte ich ihn, als er uns einholte. Es beschämte mich, dass ich vorher nicht an ihn gedacht hatte.
»Draußen. Lukas hat ihn aus dem Haus geholt.«
»Gepriesen sei der Herr«, sagte Cornelius.
»Amen«, antworteten Hugo und ich gleichzeitig.
Wir liefen durch das Tor auf den Hügel hinaus und blieben erst stehen, als die Luft klarer wurde und unsere Augen nicht mehr tränten.
»Madlen!« Lena tauchte zwischen zwei Karren auf, lief mir entgegen und umarmte mich. Eine Wolke aus Wein und Rauch umgab sie. »Ich hatte solche Angst, als ich Diego fand, aber dich nicht. Jemand sagte, er hätte euch vorher zusammen oben im Haus gesehen.«
Ich erwiderte die Umarmung. Schuld breitete sich kalt wie Eis in mir aus. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Hugo mich musterte. Ich tat so, als bemerke ich es nicht. »Nein, das kann nicht sein. Ich bin kurz nach dir nach unten gegangen. Als es anfing zu brennen, schlief ich schon draußen.«
»Ist ja auch egal. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist.«
Wir lösten uns voneinander. Lenas Blick fiel auf Rudolf, der bewusstlos über Hugos Schulter hing. »O mein Gott, der arme Junge. Wartet, ich hole Hilfe.«
Zusammen mit den Jungen lud ich Mehlsäcke von einem Karren, dann legten wir Rudolf vorsichtig auf die Bretter. Seine Wunden bluteten, aber nicht so stark, dass man sie hätte abbinden müssen.
Konrad starrte auf die Beine des Knechts. »Wird er wieder gehen können?«, fragte er.
»Nein«, sagte Cornelius. Die Härte in seiner Stimme überraschte mich.
Ich strich Konrad über die Haare. Asche färbte meine Fingerkuppen schwarz. »Wenn es Gott gefällt, wird Rudolf wieder gehen können. Wir sollten darum beten.«
»So ist es.« Hugo streckte sich, sein Rücken knackte.
Ich sah mich um. Hunderte standen mit uns auf dem Hügel und starrten auf das brennende Kloster. Im Schein des Feuers sahen selbst die Mönche aus wie Teufel.
Diego tauchte zwischen ihnen auf. Er saß auf einem ungesattelten Pferd, zog ein zweites hinter sich her und sah sich suchend um. Ich wagte es nicht, ihn zu rufen, ging nur ein paar Schritte vor, sodass Hugo nicht mehr zwischen ihm und mir stand. Vielleicht war es Zufall, vielleicht sah er die Bewegung, denn er wandte den Kopf.
Unsere Blicke trafen sich. Erleichterung hellte sein Gesicht wie ein Lichtstrahl auf. Ich lächelte unwillkürlich, doch dann dachte ich plötzlich wieder an seine Hände auf meiner Haut, an seinen Atem in meiner Kehle. Eine Wollust hatte mich ergriffen, wie ich sie selbst für Heinrich nie empfunden hatte. Das war nicht die christliche Liebe, wie sie Vater
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